Bewerben bis zum Sterben

Bewerben bis zum Sterben

Das Leben ist ein einziger Bewerbungsmarathon, um Aufmerksamkeit, Liebe, Erfolg. Im klassischen Sinne fängt es spätestens mit der Mittelstufe an.  Mein Sohn hat mit 13 seine erste Bewerbung geschrieben und dafür eine Drei sowie Streit mit mir kassiert. Weil ich gegen die Praxisferne der Lehrerin gewettert und meinen eigenen Stil durchgesetzt hatte: die Absenderadresse mittig statt linksbündig, Indikativ statt Konjunktiv und die Einleitung persönlich statt formal. Aber die Lehrerin bestand auf den gelernten Standards und dem Eingangssatz „hiermit möchte ich mich um einen Betriebspraktikumsplatz bewerben“ – vermutlich irgendeinem veralteten Lehrwerk entnommen. “Ohne Dich“, schimpft mein Sohn, „hätte ich mindestens eine Zwei für die Bewerbung bekommen.“ Aber damit noch lange kein Praktikumsplatz, kontert Gerhard Winkler. Für den Berliner Autoren sind weder Eltern, noch Pädagogen die besten Ratgeber. „Eltern sind zu oft auf dem Stand von 1980, viele Lehrer nicht von dieser Arbeitswelt.“

Gerhard Winkler ist Bewerbungshelfer, spezialisiert auf Schüler, Studenten, Berufseinsteiger – und hat alle Hände voll zu tun. Viele Jugendliche sind im Zeitalter von Web-TV, Podcasts und Handy (“Ich kann meinen Ausbildungswunsch doch auch telefonisch durchgeben!“) gar nicht mehr in der Lage, das geschriebene Wort wirkungsvoll einzusetzen. Sie sind selbstverliebt und geschwätzig: So hat sich eine 23jährige Jungmoderatorin bei mir beworben. Sie redet mich nicht namentlich an, wirbt dafür aber mit zahlreichen Kundennamen, Links und der eigenen Webseite. Im Anhang: Acht (!), echt 8 MB Foto- und Filmmaterial, Ilka in allen Moderationspositionen. Bewirbt sich die Moderatorin eigentlich bei mir oder umgekehrt, frage ich mich und meine, es besser zu können. Bei einer Kooperationsanfrage bei TV-Köchen starte ich mit dem Top-Argument, decke auf, was für eine Kooperation mit genau dem Rockerkoch Stefan Marquard spricht, verdeutliche den geringen Zeitaufwand bei hohem Wirkungsgrad, natürlich höflich und wohl formuliert auf kurzen 15 Zeilen. Das Ergebnis: Nicole, Mitarbeiterin Stefan Marquard Eventcatering ist begeistert, ruft mich noch am nächsten Tag auf dem Anrufbeantworter an und spricht von einer “super Sache” (habe das noch aufbewahrt, wer es nicht glauben möchte), die sie bis zum übernächsten Tag geklärt haben möchte: “Ich melde mich bei Ihnen.” Der übernächste Tag vergeht und gleich noch drei weitere dazu. Ich frage nach. “Das liegt jetzt bei Frau Schmid.” Aber die sei nur schwer zu erreichen, ich solle eine Mail schicken. Ich schicke eine Mail und warte. Drei Tage später erlaube ich mir, noch mal nachzufragen. Die Antwort kommt erstmalig von Schmid persönlich:

Sehr geehrte Frau Uhtenwoldt,wir haben kein Interesse an dieser Aktion, bitte nehmen Sie dies zur Kenntnis!Lieben Gruss

Genau, ich nehme zur Kenntnis. Fehler 1: Ich habe mich zum Bittsteller gemacht. Fehler 2: Nicht gleich die richtige Person angesprochen. Fehler 3: Viel zu viel Zeit und Worte verloren. “Der liebe Gruß” gehört übrigens zur automatischen E-Mail-Signatur, und geht an alle – in verkehrter Schreibweise, aber wer nimmt das schon bei einer so freundlichen Abfuhr zur Kenntnis.

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