Das Leid einstiger Leitmedien

Das Leid einstiger Leitmedien

Schön gemacht hatten sie sich ja schon, da konnten sie ruhig auch schön posieren. Die SchülerInnen des Gymnasiums Oberalster (GOA) fühlten sich geehrt, als ein Team von “Spiegel Online” ihren Abiball im luxurieusen Atlantik-Hotel besuchte, Fotos machte und Interviews führte. Und hinterher war dann doch die eine oder andere enttäuscht, dass sie nicht ganz so gut wegkam in dem Artikel. Tenor: Wer ist die Schönste im Abiland?  Oder auch: 1000 Euro für ein Outfit – darf es noch ein wenig mehr sein?images

Ehrlich gesagt, finde ich die Fotostrecke noch recht harmlos. Es hätte dicker kommen können. Einfach, weil ich vom Spiegel, egal ob Online oder Print, investigative Recherchen und kritische Berichte erwarte. “Seien Sie froh, dass wir nicht über Sie schreiben”, hat mir mal ein Spiegel Online Redakteur gesteckt, als ich noch in einer PR Agentur arbeitete und eine Wirtschaftsgeschichte unterbringen wollte. “Es wäre nicht zu Ihren Gunsten.”

Aber es ist zu bezweifeln, ob die Abiturienten mit dem Mythos vom “Sturmgeschütz der Demokratie” überhaupt noch etwas anfangen können. Schließlich liegt die Spiegelaffäre über 50 Jahre zurück. Und das Magazin, das tapfer an der Elbe geblieben ist, als alles nach Berlin zog, ist längst kein Leitmedium mehr. Das Blatt sei geschwätzig geworden, klagte schon die Tochter des einstigen Herausgebers, Franziska Augstein. Noch zehn Jahre später, ist gar von Revolte und Machtkämpfen zwischen Redaktion, ihren Chefs und Gesellschaftlern zu lesen. Weil nämlich pünktlich zum zwanzigsten Geburtstag von Spiegel Online Schluss sein soll mit den beiden unabhängigen Redaktionen und aus Print und Online “Spiegel 3.0” werden soll.

Genau vermag ich es nicht zu erklären, aber für mich klingt schon der Titel nach Populismus und nicht nach Leitmedium. Letzteres zu werden ist in Zeiten von Meinungsblasen, Desinformation und “Beiwerk rein kommerzieller Aktivitäten“, aber auch von Vielfalt und vernetzter Recherche eh noch viel schwerer als früher. Aber egal ob Leitmedium oder Leittragender der digitalen Revolution, ich hoffe sehr, dass der Spiegel bleibt. Und zukünftige Abiturienten ihn wieder lesen statt vor ihm zu posen.

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