Übermedien und Unabhängigkeit

Übermedien und Unabhängigkeit

Wie viel ist unabhängige Berichterstattung wert

Zapp-Zeit. Es geht um den us-amerikanischen Medienaktivisten James O‘Keefe und seinen angeblichen Kampf für die Wahrheit. Wahr ist vor allem, dass das „Project Veritas“ mit gezielten Täuschungsversuchen, Spitzelei und Missachtung von Persönlichkeitsrechten arbeitet. Kann man noch einmal mit Unabhängigkeit im Sinn anschauen.

Warum ich das hier aufgreife: Weil mir die Tweets über Lügenpresse und das Versagen des faktengedeckten Journalismus auf den Keks gehen. Auch wenn „nur“ noch 13 Prozent der Deutschen der Aussage zustimmen, dass die Bevölkerung von den Medien systematisch belogen werde – es sind auch noch 38 Prozent, die glauben, dass Journalisten berichten dürften, was sie wollen, weil es keine gesetzlichen Schranken gäbe. Fakt ist doch:

  • Jeder glaubt an seine eigene Wahrheit, die er dann über soziale Medien verbreitet.
  • Gleichzeitig schwindet die Orientierungsfunktion traditioneller Medien.
  • Die Folge: Es gibt kaum noch Grundwerte, auf die sich alle einigen können. Die Desorientierung steigt, befeuert und befördert durch soziale Medien.

Ich sage nicht, dass traditionelle Medien im Besitz der Wahrheit sind und es jemals waren. Völlige Unabhängigkeit und Objektivität gibt es bekanntlich nicht. Aber warum sollen Leute, die sich die Mühe machen, die Dinge von verschiedenen Seiten zu beleuchten, dabei im Team arbeiten und tonnenweise Material auf der Suche nach einer Wahrheit durchwühlen, die eben nicht in Pressemeldungen steht, nicht besser zwischen Fakt und Fake unterscheiden können als ein einzelner US-Präsident.

Vier-Sechs-Acht-Augen-Prinzip, Drei-Quellenprinzip, verantwortungsvolle Themenauswahl und Transparenz, die guten alten Werte gelten nämlich auch noch in Zeiten, in denen es den traditionellen Medien nicht mehr so gut geht.

Ein Beispiel ist die dpa, die bekanntlich von der Auflagenhöhe ihrer Kunden lebt – also eher schlecht. Zum Jahreswechsel verschickte sie an die freien Mitarbeiter einen „WRITER’S GUIDE“. Darin wird unter anderem gefordert:

Jeder Korrespondentenbericht muss sich auf mehrere Quellen stützen – mindestens auf drei, möglichst auf mehr. Die Quellen sollten ausgewogen gemischt werden. Eine einzelne Quelle darf nicht den Text dominieren. (…) Die Internet-Suche kann das Recherche-Gespräch nicht ersetzen.(…) Wird im Text ein Trend beschrieben, so ist die behauptete Entwicklung durch Zahlen und Fakten zu belegen.

Ich finde das alles sehr richtig und ehrenwert. Nur: Den Aufwand für diese Arbeit bezahlt die dpa leider nicht. Am Ende erhält jeder freie Mitarbeiter ein mageres Zeilenhonorar von gut einem Euro für über 60 Zeichen! Vielleicht hilft ja ein kleiner Vergleich zu der gar nicht so unabhängigen Bloggerszene: In Lilies Tagebuch etwa finden sich gesponserte Blogpost oder auch mal ein Foto mit Bahlsen-Keksen auf dem Rucksack – im Auftrag des Keksproduzenten, versteht sich. Wenn aus einer dreitägigen Reise fünf Blogposts à 5.000 Zeichen entstehen sollen, kostet das rund 6.000 Euro. Zum Vergleich: Für dieselbe Summe muss ein dpa-Mitarbeiter rund 360.000 Zeichen runtertippen – das sind rund zwei Taschenbücher. Wie viel ist uns Unabhängigkeit noch wert?

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