Neulich in der Warteschlange einer Hamburger Arztpraxis: Die Sprechstundenhilfe diskutiert lautstark mit einer Patientin, warum ihr das Medikament für die Schwester nicht ausgehändigt werden darf. „Datenschutz, es gibt eine neue Verordnung, Sie wissen ja gar nicht, was hier los ist“, stöhnt sie. Vor mir wartet die Grundschullehrerin meiner Tochter. Wir unterhalten uns dezent. Endlich ist meine Gesprächspartnerin dran. „Ihr Geburtsdatum?“, fragt die Sprechstundenhilfe. Die Lehrerin antwortet leise. „Noch einmal bitte, das konnte ich nicht verstehen“, fordert sie lautstark. Am Ende kennt jeder der Wartenden das Geburtsdatum der Lehrerin.
Neulich in der Warteschlange meines DSL-Providers: Endlich bin ich an allen Bots und nervigen Optionen vorbei („Zu Schulungszwecken und zur Verbesserung unserer Servicequalität möchten wir das nachfolgende Gespräch aufzeichnen, sollten Sie dies nicht wünschen, drücken Sie die…“ Wenn man nicht einverstanden ist, wird die Aufforderung noch einmal wiederholt, so als sei man einfach nur zu blöd, die richtige Option zu wählen!) Schön, das wäre geschafft, es ist ein Mensch am Ende der Leitung: Ich nenne brav Namen, Kundennummer, Geburtsdatum, die ersten Ziffern der Kontoverbindung – aber der Mensch fragt nach einem Kennwort.
„Was für ein Kennwort?“, frage ich und nenne in meiner ersten Blindheit irgendwelche Passwörter, die mir einfallen. „Das ist nicht richtig“, sagt er mit einer spöttischen Stimme, die mich aggressiv macht. Was das jetzt solle, frage ich, seit neun Jahren kommunizieren wir ohne Kennwort, mit allen möglichen personenbezogenen Daten, die das Unternehmen ja nach wie vor von mir speichere. „Datenschutz, es gibt eine neue Verordnung“, sagt er, „bedanken Sie sich bei Frau Merkel.“
Ich argumentiere, dass ich mich doch einwandfrei als Kundin ausweisen kann und er doch nun alle Daten (einschließlich einiger Passwörter, aber das sage ich vorsichtshalber nicht) von mir habe. Jetzt wird er laut: „Für Sie werde ich nicht meinen Job riskieren, das ganz bestimmt nicht.“ Endlich mal einer, der gern in einem Callcenter arbeitet, denke ich, bitte ihn, mir ein neues Passwort zuzuschicken und lege auf. Ich warte fünf Wochen darauf. Vergeblich. Dann schreibe ich an den Provider. Der antwortet mir drei Wochen später, dass ich mein Kennwort selbst nach „erfolgreichem Login im Kundencenter einrichten oder ändern“ könnte. Schön, aber braucht man dafür nicht ein persönliches Kennwort?
Anders gesagt: Es läuft noch nicht alles rund mit der neuen Datenschutzverordnung DSGVO. Genervt sind Handwerksbetriebe, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien, die sich ohne professionellen Beistand allein gelassen fühlen, mit sensiblen Daten umgehen und nicht zu dubiosen Abmahnern zählen. Dennoch greift die Headline „Datenschutz-Wahnsinn“ zu kurz: Denn auch, wenn es die Kleinen mitbetrifft, gemeint sind die Großen, die uns nur allzu gern durchleuchten, um noch mehr Marktmacht zu erringen. „Es geht um den Schutz der Menschen in der digitalen Welt“, schreibt Heribert Prantl, Meinungsressortchef bei der Süddeutschen Zeitung. Wenn die DSGVO dazu beigetragen hat, dass Menschen sparsamer mit ihren Daten umgehen und sich wieder ihrer Grundrechte bewusstwerden, hat sich der Aufwand schon gelohnt: „Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten“, verspricht Artikel 8 der EU-Grundrechtecharta. Europa, Freiheit, Menschenrechte – wir müssen schon einiges tun, dass nicht noch mehr Sterne abhanden kommen!