Ein Pärchen in einer Steinbucht der Côte d’Azur, kurz vor Mittag. Sie klettert im türkisfarbenen Bikini auf einen Felsen mit Meerblick. Es ist höllisch heiß, Muscheln und spitze Steine schneiden in die strahlend blau lackierten Zehen, aber die junge Frau lächelt. Zumindest bis ihr Freund ein paar Fotos gemacht hat. Nun schaut sie aufs Smartphone und lächelt nicht mehr. Vielmehr schnauzt sie ihren Freund an, er muss noch mal ran – und sie zurück auf den Felsen. Aber dieses Mal scheint es zu klappen. Die junge Frau tippt auf ihr Smartphone: Ein inszeniertes Instant-Foto mehr geht online. Richtig zufrieden schaut die Influencerin immer noch nicht aus, aber jetzt will sie weiter. Schnell das Sommerkleid übergestült, in die Sandalen geschlüpft – ihr Freund hat nicht mal Hemd geöffnet. Er ist schließlich nicht zum Vergnügen hier.
Szenen wie diese hat der Reisejournalist und Blogger Philipp Laage wieder und wieder erlebt. Und er bekennt:
Meine Reisen waren selten eine Abfolge beispielloser Glückserlebnisse. Manchmal eher das Gegenteil. Ich war zu unmotiviert, um mir etwas anzuschauen. Ich starrte an einem Ort, für den ich eine tagesfüllende Flugreise in Kauf genommen hatte, zwei Stunden lang in mein Handy. Ich ließ mich abzocken(…) Ich wusste an den schönsten Orten der Welt nichts mit mir anzufangen.
Pimp your journey
Das war vor der Corona-Krise. Dieses Jahr ist alles anders. Wir sind auf uns zurückgeworfen. Und sollten endlich mal zu uns selbst reisen, frei von Illusionen und Inszenierungen.
Einerseits sehnen wir uns nach Tapetenwechsel, Abstand von den Corona-Sorgen, vielleicht auch nach dem, was die geschönten Bilder in sozialen Medien lange Zeit versprachen: Beachtung und Bewunderung – schaut her, ich mache Urlaub im versteckten Paradies.
Andererseits ist uns klar, dass Abenteuer, Wildnis und Exotik in Deutschland und Umgebung kaum zu finden sind. Viel weiter wollen oder können wir aber auch nicht verreisen – so umwerfend sind die Berichte von menschenleeren Hotels in der Türkei oder geschlossenen Geschäften auf Mallorca nun auch wieder nicht.
Was also ist zu tun im Reisesommer 2020?
- Rand halten: Versuchen wir doch wirklich mal offen und nicht voreingenommen zu sein, begegnen wir dem anderen, hören wir ihm zu, denken wir über seine Position nach.
- Rand lassen: Der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau hat es vorgemacht. Er war durchaus aktiv, etwa im Kampf gegen Sklaverei, aber er nahm sich auch die Freiheit, in einer selbst gezimmerten Blockhütte am Waldsee zwei Jahre nichts zu tun – aus Angst zu sterben, ohne gelebt zu haben. So viel Zeit gönnen wir uns nicht, dürfen uns aber wenigstens im Urlaub dem Diktat der Geschwindigkeit und Effizienz entziehen.
- Rund sein mit sich selbst: Zum Glück muss man dafür nicht weit reisen. Sich nur ein paar Fragen stellen und sie auch ernsthaft beantworten. Wo möchte ich am liebsten sein? Unter welchen Umständen? Auch wenn die Kamera zu Hause bleiben sollte?
Die beste Reise? Eine Kundin hat gerade die Fairtrade Insel Langeoog besucht und dafür nur ein einziges Wort: „Herrlich!“ Die letzte Reise? Ein Vogelkundler nutzt das schöne Wetter, die langen Tage und den Lock-Down für Frühaufsteherausflüge auf dem größten Parkfriedhof der Welt: „Man muss Zeit mitbringen, meditativ schlendern, dann entdeckt man auch Neues.“ So hat er auch seinen Lieblingsgrabstein gefunden. Er trägt die Inschrift: „Endlich Ruhe!“