Journalist 4.0: Farbe macht den Unterschied
Journalismus 1995 hatte vor allem die Ziele:
- Gesellschaft besser machen
- Missstände aufzeichnen
- Hintergründe erklären
- dabei so unabhängig und unvoreingenommen wie möglich bleiben.
25 Jahre später haben sich die Prioritäten etwas verschoben:
- Aufmerksamkeit erregen
- Konversation am Laufen halten (und nebenbei die Konversion nach oben treiben)
- Interaktive Inhalte mitdenken
- dabei so kurze Sätze und so viele Bilder wie möglich unterbringen.
Zugegeben, das ist in der Gegenüberstellung ziemlich schwarz-weiß gemalt. Denn natürlich ging es 1995 auch schon um Aufmerksamkeit, und zwar nicht nur bei der Bild-Zeitung. Zudem gibt es heute immer noch ziemlich guten, investigativen Journalismus, der durch Vernetzung sogar noch effizienter und schlagkräftiger wird. Und dass die Leser und Zuschauer heute zu Kommentatoren und Darstellern werden, ist ein Zeichen für Demokratie. Nein, es wirkt alt und macht verbiestert, wenn man meint, früher sei es besser gewesen. Dennoch wird niemand bestreiten, dass Internet und Digitalisierung die Branche ziemlich durchgerüttelt haben – ein Ende ist nicht abzusehen!
FAZ, taz, WAZ – Journalismus nicht für die Katz
In einem Workshop des Journalistenverbandes djv habe ich gerade gelernt, Geschichten für das Netz zu denken. Das geht mit:
1. knackigen Überschriften (Meine Kalauer in der Zwischenüberschrift dürfte da wohl durchfallen, zu old school, zu printlastig, zu gewollt.)
2. Teasern, die Lust auf mehr machen (Habe hier darauf verzichtet, um gleich in medias res zu gehen. Aber Listen und Bullet Points sind auch immer gut, sagt der Trainer.)
3. Bilderfluten: Emotionale Fotos, Videos, Infografiken und Interaktion (Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich mein Startbild nicht eingefärbt habe. Das macht die Stadt Strasbourg in jeder Sommernacht selbst: Zum Leidwesen der Anwohner ertönen rund um die Cathédrale Notre-Dame zwischen 22.00 Uhr und Mitternacht sechsmal hintereinander dieselben sphärischen Klänge. Zeitgleich taucht die Lichtshow „LuX“ die Südseite des Münsters in magisches Licht. Die Hoffnung der Veranstalter: Die Zuschauer entdecken versteckte Details und Ornamente. Mein Eindruck dagegen: Sie blicken vor allem durch und auf ihr Smartphone, da bleibt von den Details nicht viel übrig.)
Video-Mapping ist das Schlagwort dafür. Und Scrollytelling Features seien gefragt, sagt mein Workshop-Trainer und verteilt eine Übersicht aus Apps und Tools, mit denen man multimedial erlebare Geschichten produzieren kann. Aber das ist zeitaufwändig, wenn es nicht zu billig rüberkommen soll. Und dafür wird kein Team aus Designern, Programmierern und Textern beschäftigt. Das macht alles der Journalist 4.0 mit Hilfe von schlauen Algorithmen selbst.
So lerne ich in dem Workshop „Snackable Content“ Bilder mit Sprechblasen zu versehen, Comics aus Videos zu machen und wie blitzschnell das gehen kann. Ein wenig fühle ich mich allerdings wie ein Konditor, der Zucker, Schaum und Farbstoff von der Maschine zu immer neuen bunten Kreationen mischen lässt. Ein Content-Konditor auf Kreuzfahrt vor einer Bilderflut.
Aber eigentlich wollte ich Journalistin werden.