Es gibt ja Pressesprecher, die auf der Höhe der Zeit sind. Man ruft an, kriegt eine automatische SMS („kann gerade nicht sprechen, bin noch in einer Video-Konferenz bis 16.00 Uhr“) und bevor man selbst zum Hörer greift, kommt prompt um 16.00 der Rückruf.
So weit das System, danach kommt der Mensch
Fall 1: Der Anrufer klingt abgehetzt. Nee, bis morgen gehe das auf keinen Fall. Er habe gerade eine fünfstündige Video-Konferenz hinter sich. (Wow, denke ich, und dass auch Konferenzen sich in genau dem Maß ausdehnen, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht…) Er müsse das noch nachbereiten und morgen habe er weitere Online-Meetings. (So genau wollte ich es gar nicht wissen.) Ich könne aber gern eine Mail schicken, er wolle sehen, was er machen kann, nur eben nicht zu morgen. (Das habe ich nun verstanden, aber zu übermorgen nützt es mir nichts mehr. Wozu sollte ich also noch eine Mail schreiben?)
Fall 2: Das gesamte Team arbeite im Home-Office. Ich möge bitte eine Mail schicken. (Sorry, aber ich verstehe die Logik nicht. Es ist mir so ziemlich egal, von woher die Antwort auf meine Frage kommt, Hauptsache sie kommt. Und auch ein Telefon lässt sich auf eine andere Nummer umstellen. Aber okay, dann schicke ich halt die Mail. Parallel rufe ich aber auch auf eigene Faust im Sprachenzentrum der TU Darmstadt an – nur so zum Hintergrund, es geht um eine Recherche über Qualitätstests im Bildungssektor, Toefl und Co. Zum Glück, denn auf die Antwort der Pressestelle warte ich immer noch. Ist bestimmt im Spam-Ordner gelandet…)
Fall 3: Es gibt weder eine Telefonnummer, noch einen Ansprechpartner für Presseanfragen. Also versuche ich es mit einer allgemeinen Mail und kriege sofort Antwort (das System schläft nicht) unter einer offiziellen Zwischenfall-Nummer (oder passt die Übersetzung „Störfall“ besser?) Incident: 200514-002350 mit dem Hinweis, dass es zwei Geschäftstage dauern würde, bis ich eine Antwort erhalte und ich möge bitte darauf achten, dass ich @ets.org als sichere Absendeadresse eintrage. (Das habe ich natürlich versäumt und prompt nichts mehr gehört.) Pikanterweise macht es die Konkurrenz nicht besser, nur herzlicher: Bei Cambridge Assessment Englisch meldet sich eine freundliche Helpdesk Analystin namentlich, hofft, dass es mir gut geht, bittet noch um etwas Geduld, sendet warme Grüße und dass sie weiterhin am Thema dran sei, zuletzt am Pfingstsonntag um 18.20 Uhr: Hello Deike … (Die Anfrage stammte vom 15. Mai, 12.42 Uhr…)
Sprecher, bleib bei deinen Leisten: Lass ab von Mails
Richtigstellung: Natürlich gibt es sie zuhauf, hochprofessionelle Sprecher, die sich kümmern, Zwischenstände vermelden, auch wenn es länger dauert als geplant, Ansprechpartner vermitteln und telefonisch erreichbar sind. Die auch nicht auf umständliche Anfragemails bestehen, auf die sie dann nur in kurzen trockenen Antworten eingehen. Ich habe allerdings das Gefühl, dass einige von ihnen der Corona-Krise zum Opfer gefallen sind, sich im Home-Office lieber mehr zurückziehen oder eben mehr mit Selbstorganisation beschäftigt sind. Dabei wissen auch Pressesprecher: Niemand will harmlose Zitate oder fade Interviews lesen. Jeder will Authentizität, Antworten, die zum Nachdenken anregen und die man nicht schon ein Dutzend Mal gelesen hat. Es gilt das pointierte Wort.
Die Entschärfung gesprochener Thesen in der späteren Verschriftlichung ist eine Form von Zensur.
Jörg Staude, Redakteur des Interviewmagazins „Galore“