Solutions contra Sehnsucht: Eindrücke vom Media Innovation Day

Solutions contra Sehnsucht: Eindrücke vom Media Innovation Day

20151007_125142 10.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in etwa 2.000 Unternehmen, meldet die Handelskammer für den Medienstandort Hamburg. Aber wo sind diese Medienmenschen auf der World Publishing Expo, der „weltweit bedeutenden Fachmesse für Zeitungen und Nachrichtenmedien“, wie Hamburg News titelt? Ich wandere durch leere Gänge in überdimensionierten Hallen, vorbei an Ständen, die „Publishing Solutions, Workflow und High Performance“ versprechen und vereinzelt etwas müde dreiblickendem Personal. Sieht so „Media Innovation“ aus? Reichlich Solutions, wenig Sehnsucht? Ich war noch nie ein Freund von Messen. Aber ohne Menschen sind sie geradezu freudlos.

Auf der Messe besuche ich den „Media Innovation Day“, Untertitel: „How will you get your news tomorrow?“, und erfahre fünf Kriterien, die ich als „Medienentrepreneurin“ beherzigen sollte:
20151007_1034441) Leser durch Austausch binden: „Was hat dich heute bewegt?“, fragt Hannah Suppa, „Head of Digital“ bei der HAZ in Hannover sich, ihre Kollegen und Social Media Plattformen täglich. Aber was ist mit denen, die sich nicht äußern? Oder Austausch mit Hasstiraden verwechseln?
2) Privatheit respektieren: Die junge Zielgruppe, 20 Millennials, die Suppa befragte, bat darum, „Whatsapp, Snapchat“, eben ihre private Kommunikation für sich behalten zu dürfen und dort nicht mit Tageszeitungsnews verfolgt zu werden. Präsenz auf allen Kanälen hat eben auch seinen Preis.
3) Heimatgefühle auf allen Kanälen: Die gedruckte Zeitung kommt für die jungen Leute immer weniger in Frage, digital sollte die News sein, egal wo und Hauptsache sie berührt, zeigt Menschen und Meinungen. „Die jungen Leute wollen Erklärungen für das, was draußen passiert“, so Suppa. Damit das nicht nur Meinungsmache wird, sind Hintergründe gefragt. Also:
4) Kontext mitliefern: „Die Menschen lesen mehr, aber sie sind nicht besser informiert“, meint Gerret von Nordheim, der einen visuellen Blog mit Text, Animationen und Videos betreibt. Ich persönlich halte es für eine Überfrachtung, wenn stets Text, Bild, Audio, Video und Animation kombiniert werden und dass dies manchmal den roten Faden geradezu untergräbt. Auf jeden Fall will die Journalistin Nora Burgard-Arp dazu eine Umfrage starten und ich bin gespannt auf ihre Ergebnisse.
5) Für Traffic sorgen: Ein Artikel ist ein Produkt, er braucht eine knackige Überschrift, mitreißende Bilder und intelligente Vernetzung, sagt Philipp Westermeyer, Online Marketing-Experte und Gründer. Wenn man es so gut macht, wie die Plattform heftig.com kann mit gerade mal 65 (und dazu noch völlig simpel gestrickten) Geschichten mit Spiegel Online mitziehen. Wirklich gut gemacht? Nee, einfach nur viel Geld in die Hand genommen und dafür bezahlt, im Facebook Newsfeed weit oben platziert zu werden.

Ich verlasse den „Media Innovation Day“ etwas ratlos. Denn eigentlich haben doch die 20151007_103029Gründer des Online Wissenschaftsmagazins Substanz, die den Vormittag ausläuteten, alles richtig gemacht: Aufwendig recherchiert, authentische Personen gezeigt, Wissenschaft mit Filmen, Bildern, Grafiken multimedial inszeniert. Dennoch wird ihre Seite inzwischen nicht weiter gefüllt. Der Grund: Es gab nicht genug Leute, die bereit waren, dafür zu zahlen. „Weiter machen, optimistisch bleiben“, hat sich Substanz Mitbegründer Georg Dahm vorgenommen. „Wir haben eine Menge gelernt.“ Etwa in Zukunft nicht nur Geld in das Produkt, sondern auch in Verkauf und Marketing zu stecken. Journalismus muss mehr experimentieren, meint er. Good luck!

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