Birdman, ausgerechnet. Okay, ich verstehe echt nichts von Kino, ich sollte lieber die Klappe halten. Aber wenn das der beste Film des Oscar-Jahres ist, weiß ich, warum die Leute nicht mehr ins Kino rennen. Dabei war ich in diesem Jahr schon zweimal da, das ist sensationell für eine Kinomuffel wie mich. Auch noch im selben Kino. Und das ist die eigentliche Geschichte. Es ist ein Vorstadtkino, die Koralle in Volksdorf. Eines dieser kleinen Lichtspielhäuser mit Bürgernähe, Bar und Bistro. Das kann man doch guten Gewissens mal unterstützen, dachte ich mir und wunderte mich über fehlende Funktionen im Netz. Platzkarten? Vorreservierungen? Fehlanzeige! Es gibt zwar eine Telefonnummer, aber da geht nie jemand ran. Ich denke mir, na wird auch ohne klappen, wer geht schon Sonntagabend zur Tatort-Zeit ins Vorstadtkino?
Es waren viele. So viele, dass wir auf jeden Fall nicht mehr reinkamen in „Honig im Kopf“. Das hat dann doch meinen Ehrgeiz geweckt. Nächstes Wochenende, gleiches Spiel, aber dieses Mal bin ich eine Stunde vor Kinostart da. „Alles ausverkauft“, sagt die Kinokartenverkäuferin. Sie verkauft nebenbei Popcorn und Getränke, klar, dass sie nicht noch das Telefon bedienen kann. „Aber ich empfehle Ihnen zu warten, es werden bestimmt nicht alle Karten abgeholt“, sagt sie und positioniert mich neben die Kasse. Jetzt dämmert es und ich kann es kaum fassen: Der ganze Saal hat vorreserviert, persönlich am Vortag oder wann auch immer und muss nun spätestens eine halbe Stunde vor der Filmvorführung die Karten bezahlen, abholen und sich anstellen. Wieso anstellen? Weil es keine Platzkarten gibt, wer den Saal als erster betritt, hat die freie Auswahl, den letzten beißen die Hunde. Wir sind die letzten: Einer von uns sitzt in der ersten Reihe, einer ganz hinten links außen, zwei in der Mitte, dafür die äußersten Plätze rechts. „Honig im Kopf“ kann man sehen, wenn man Till Schweiger mag, ansonsten sollte man es lieber lassen, denke ich und fühle mich allein Rechtsaußen ein wenig im Abseits.
Das ist vorsintflutlich, dass sind die 70iger Jahre, als hätte es die Digitalsierung, die Macht der Algorithmen und Vermessung der Welt nicht gegeben. Ein Stück alte Welt besteht weiter im Sog der Neuen. Ich habe diesen Samstag mit jungen Entwicklern, Ingenieuren und Unternehmensgründern verbracht, die an der Zukunft bauen wollen. Online Plattformen, Big Data, Future Internet, FIWARE „Open APIs for Open Minds“. Undenkbar, dass sie ein Vorstadtkino ohne Smartphone App besuchen würden. „Würden wir Sitzplätze nummerieren, blieben die ersten drei Reihen stets unverkauft. Das können wir uns als kleines Kino nicht leisten“, sagt der Koralle-Betreiber.
Eine Freundin lädt mich ins Kino ein. Ich darf einen Wunschfilm wählen. Ich folge den Oskarnominierungen, den Sternchen in Online-Plattformen, den medialen Kritikern, den manchmal auch nichts Neues mehr einfällt, weil es alles schon gegeben hat im Kino und bei 87 Oscarverleihungen. Ich hätte meinem Bauchgefühl folgen sollen, das schon beim Trailer einen gewissen Widerwillen verspürte. Interessanterweise landen wir wieder in der Koralle. Noch besser, der Saal ist kaum besetzt. Wir haben freie Auswahl. Noch schlechter, es ist schweinekalt, die Kameraführung ist lausig, das Kinohappening bleibt aus. „Birdman“ ist einfach nur bad. Warum hat es „Boyhood“ eigentlich nicht geschafft?