Am Ende steht 2024. Erwartet werden Wahlen in ostdeutschen Landtagen, in Europa und den USA. Mit jetzt schon unguten Vorzeichen, weil Meinungsumfragen deutliche Zuwächste bei Rechtsnationalen und EU-Skeptikern vorhersagen. Weil der Kampf der betagten Männer in den USA nicht zukunftsweisend sein kann. Weil Krieg und Krisen dazu beitragen, Schwarz-Weiß-Denken, Falschmeldungen und Hasstiraden zu stärken. Siehe Gaza und Ukraine, Myanmar und Kongo: Die „Emergency Watchlist“ scheint heute schon länger als die von „Godsend & Hope“, dabei hat 2024 kaum angefangen. Prosit Neujahr?
Am Anfang stand ein kurzes Telefonat Mitte Dezember. Ein Unternehmensberater beklagte rückläufige Aufträge, „die schlechteste Regierung aller Zeiten“ und gängelnden „sozialistischen Staatsdirigismus“. Kann man Pauschalurteile und Polarisierung, ja das negative Denken stets weiter steigern, habe ich mich gefragt.
An den folgenden Tagen habe ich privaten und beruflichen Kontakte ein- und dieselbe Frage gestellt: Was sind für dich die Schlagzeilen 2023, die Mut gemacht haben und im Gedächtnis geblieben sind? Dabei herausgekommen sind eher Schlagworte wie 49-Euro-Ticket und Parlamentswahl in Polen. Typisch vielleicht die Antwort einer 84jährigen:
Was richtig Gutes von diesem Jahr ist mir bisher nicht eingefallen. Privat war glücklicherweise alles recht gut…
Eine Seniorin auf der Suche nach den Mutmachern des Jahres
Anders gesagt, es geht uns besser als wir wahrhaben wollen. Das trifft nicht nur auf unser persönliches Umfeld zu, das ist auch politisch, wirtschaftlich und sozial der Fall. Der Beweis: Als ich nach dem besagten Telefonat angefangen habe, online und offline nach Positiv-Schlagzeilen zu suchen, habe ich weit mehr gefunden als gedacht. Auch wenn Negativaufmacher und Alarmmeldungen nach wie vor dominieren.
Anders ist das allenfalls in der Zeit zwischen den Jahren, wo Medien sich mehr Mühe geben, Mut zu machen. So wie hier Stern, SZ oder das Change-Magazin:
Will sagen, die Idee ist ganz bestimmt nicht neu. Aber auch nicht verkehrt…
Hier also meine Mutmacher des Jahres
- Januar: Eine neue Ära beginnt: Geopolitische Entwicklungen und die Antworten der Global Player – zwar keine Nachricht, sondern Titel eines vom Handelsblatt im Januar organisierten Energiegipfels, aber für mich die Stellvertreter-Schlagzeile dafür, dass in diesem Jahr der Gasnotstand ausblieb, der Ausbau der Erneuerbaren vorangetrieben wurde und Habeck nicht nur einheizte.
- Februar: Sri Lanka verbietet Einwegplastik aus Tierschutzgründen – so die WDR „Daily Good News“ vom 23. Februar und ein Beispiel dafür, dass Redaktionen die Bedeutung konstruktiven Journalismus erkannt haben.
- März: Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Putin – mehr als nur ein Symbol, weil die Bewegungsfreiheit des Präsidenten eingeschränkt wird.
- April: Tumor an der Bauchspeicheldrüse: KI und mRNA sollen Gamechanger im Kampf gegen den Krebs werden.
- Mai: Das 49-Euro-Ticket geht an den Start – und dass zeitgleich die Corona-App abgerüstet und die Altenpflege-Mindestlöhne stiegen, sind weitere hoffnungsvolle Nachrichten unter dieser Schlagzeile.
- Juni: Schutz der Hochsee: Das Wunder von New York – war schon im März vereinbart, wurde aber erst im Juni beschlossen.
- Juli: Gut jeder zweite Geflüchtete ist nach sechs Jahren in Deutschland erwerbstätig, bei den Männern sind es sogar 67 Prozent, bei den Frauen nur 23 Prozent – es gibt also noch Luft nach oben für gute Nachrichten 2024.
- August: Neuregelung beim Recycling: Wenn Blinkschuhe zu Elektroschrott werden – und mit dem Recht auf Reparatur setzte die EU der Neuregelung noch die Krone auf.
- September: Kampf um Schutzgebiete im Amazonas: Gericht stärkt Rechte Indigener – „ein Erfolg für das Klima“, schreibt die taz.
- Oktober: Polen nach den Parlamentswahlen: Aus dem Osten kommt das Licht – das haben mehrere meiner Gesprächspartner genannt, das darf hier nicht fehlen.
- November: „Die Sache hat mich bestärkt, mich erst recht für Demokratie einzusetzen“, lautet die Erzählung einer Deutschen mit pakistanischen Wurzeln, die sich in ihrem Wohnort in Rheinland-Pfalz gegen rechte Demos einsetzte, eingeschüchtert und abgemahnt wurde – und vor Gericht gewann.
- Dezember: Da habe ich, wie beschrieben, genauer gelesen und festgestellt, es gibt viel mehr positive Nachrichten als gedacht, sie stehen halt nur nicht immer auf Seite eins. Umso schwerer fällt die Entscheidung und gärt noch. Darf ich Sie um Endbindungshilfe bitten: Worauf fällt Ihre Wahl?