Lückenhaft: Unsere Wahrnehmung der Welt

Lückenhaft: Unsere Wahrnehmung der Welt

Neulich beim Sportkurs „Hypnose & Entspannung“ werden neue Teilnehmende eingeführt. Unter anderem erfahren sie, dass

  • demnächst Vollmond sei,
  • dazu auch noch Sonnenfinsternis,
  • daraus abgeleitet werden könne, dass die Welt im Umbruch sei und große Veränderung nötig.

Ich liege also auf meiner Matte und würde mich gern entspannen. Um zu erkennen, dass die Welt im Umbruch ist, brauche ich nun wirklich weder Vollmond noch Sonnenfinsternis. Dazu genügt ein Blick in die Weltnachrichtenlage. Und als hätte sie meine Gedanken geahnt, fährt die Trainierin fort:

Es tut gut, Nachrichten aus dem Leben zu verbannen. Ich mache das schon seit drei Jahren und es geht mir prima damit. Schaltet bloß ab!

Aus dem Studio Spirit Loft, 19. April 2023

News Fatigue ist ein Phänomen unserer Zeit. Mehrheitlich junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren versuchen, absichtlich Nachrichten aus dem Weg zu gehen. Gemeint sind Mitteilungen von neuesten Ereignissen oder Zuständen aus der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die von Wichtigkeit sind. Aber was ist wichtig? Im eigentlichen Sinne ist eine Nachricht nämlich etwas, wonach man sich richten muss. Also eine Handlungsorientierung und eben die Informationen dahinter, die man zur Orientierung nutzt.

Insofern ist die Information über Vollmond, Sonnenfinsternis und andere galaktische Welten natürlich auch eine News und für die Trainerin offenbar auch richtungsweisend. Nachrichten bezieht sie weiterhin aus ihren Social Media Kanälen, namentlich Facebook. Ausgewählt und für relevant erachtet von Menschen, die anders als Journalisten und Kurateure nicht dafür ausgebildet sind. Ich finde es wichtig, das im Kopf zu behalten:

  • In einer digitalisierten Welt kommen wir nicht mehr um Nachrichten herum
  • Aber was wir davon wahrnehmen, ist immer nur eine ganz kleine Auswahl
  • Mut zur Lücke heißt, sich dessen bewusst zu sein.
  • Und nicht die Auswahl ein paar Facebook Freunden, Tier-TikToks und selbst ernannten Influencern zu überlassen.

Im Nachhinein habe ich mich geärgert, dass ich da einfach so widerspruchslos liegengeblieben bin. So ein Statement am Anfang einer Entspannungsstunde war mehr als übergriffig. Schließlich war niemand zum Diskutieren oder zum Austausch gekommen. Keiner hat über seinen Umgang mit Tagesschau, Tageszeitung oder Twitter-Timeline sprechen wollen. Alle wollten einfach nur ihr Gedankenkarussel im Kopf ein wenig langsamer kreisen lassen.

So und mit diesem Wort zum Sonntag nehme ich auch erst mal Abstand vom Medienkonsum, fahre an ein Haus ans Meer, ganz ohne Wlan, Fernseher und damit Nachrichtensprecher Constantin Schreiber, der auch lieber Sport macht, als sich die Nachrichten einer Trainerin anzuhören. Und wer weiß, wie oft und mit welcher Frequenz ich das Radio andrehe. Ansonsten werde ich frische Luft atmen, Raps riechen und den Wind fühlen. Und vielleicht werde ich meinen Weg sogar noch dem Mond richten, wer weiß!

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