Abendblatt 3.0: Verkaufen, was längst nicht jeder geschenkt haben will

Abendblatt 3.0: Verkaufen, was längst nicht jeder geschenkt haben will

7,95 für 30 Tage Online-Redaktion abendblatt.de. Das ist im Grunde genommen ein fairer Preis, nämlich knapp 30 Cent pro Tag, wie Vize-Chefredakteur Matthias Iken ivorrechnet, der zugleich fragt, ob das denn zu viel verlangt sei “in Zeiten, wo aufgeschäumter Kaffee im Pappbecher drei Euro kostet.” Das ist ein wenig das Problem bei dem Editorial , der Ton ist larmoyant, voller Selbstzweifel (“vielleicht ist es selbstmörderisch…”) und zugleich vorwurfsvoll. Als könne man es den User verübeln, dass sie sich an Kostenlos-Angebote gewöhnt haben, die der Verlag seit 13 Jahren bereit stellt und die es seit einem Jahr noch vor oder ganz ohne Erscheinen der inzwischen 61jährigen Zeitung gibt! Will sagen, die Redaktion hat mit ihrem Konzept Abendblatt 3.0 selbst die Dinge auf den Kopf gestellt und muss nun den Zahn der Zeit zurückdrehen, damit sich guter Journalismus wieder rechnet. Wer Nachrichten aus Hamburg und Norddeutschland sucht, soll daher bezahlen. Im Prinzip ein richtiger Schritt, ebenso wie die Stärkung der zum Teil sehr treuen Abonnenten, die nun kostenlos an alle Web-Inhalte kommen. (Meine Tante etwa bezieht seit fast 50 Jahren das Abendblatt, allerdings ist sie auch schon über 80 und niemals online…) Dennoch sind die Klickraten am Tag der Umsetzung deutlich eingebrochen und sind die Kommentare der User überwiegend negativ: Sie fühlen sich zum einen durch den Tonfall und den Vorwurf der Freibier-Mentalität auf den Schlips getreten (Zitat eines Lesers: “Das nenn ich mal eine erstklassige Publikumsbeschimpfung Herr Iken!”), zum anderen wollen sie nicht für journalistische Arbeit, sondern nur für ein erstklassiges Produkt bezahlen. Und da muss eben noch etwas nachgelegt werden. Für die Aussichten auf weiße Weihnachten übermittelt vom Wetterexperten, Festtagsrezepte, die Briefe an den Weihnachtsmann in Himmelspforten oder die Winterwetterschäden auf der A7 würde ich jedenfalls keinen Cent zahlen. Das gibt es überall zu Hauf und kostenlos. Übrigens sind die User gar nicht so sehr aus auf das von Iken kritisierte  „Mutter-Teresa-Prinzip“: Alles muss umsonst sein. Vielmehr muss es selbstbestimmt und dialogorientiert sein: Dem Spendenaufruf von Wikipedia-Chef Jimmy Wales folgen allein im deutschsprachigen Raum die User tagsüber im Viertelstundentakt. Sie spenden zwischen 5 und 250 Euro, am Tag kommen schon mal über 7.000 Euro zusammen: für Unabhängigkeit, Demokratie und Freies Wissen. Das müsste doch auch für das Abendblatt vorbildlich sein.

Neues Bezahlzeitalter bei abendblatt.de

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