Sonntag bin ich schneller gelaufen, gestern weiter. Das liegt an der Sogwirkung starker Bilder. Wie der Äthiopier Shami Dawit den 27. Hansemarathon im Schnelldurchlauf nahm, hat mich beflügelt. Ich sagte mir, wenn der mit durchschnittlich 20,62 Stundenkilometern mehr als 42 Kilometer schafft, dann muss ich doch auf einem Viertel der Strecke wenigstens halb so schnell sein können. Okay, der neue Streckenrekordler ist jünger, trainierter und zäher als ich, aber ich behaupte ja auch nicht, dass ich ihn schlagen könnte. Ich will mich nur ein wenig von seiner Leistung anstrecken lassen – und das hat funktioniert.
Leider funktioniert Ansteckung in beide Richtungen – mit Chance oder mit Gefahr. “Burn-out kann ansteckend sein”, schreibt Sabine Asgodom in ihrem Gastkommentar im Hamburger Abendblatt mit Bezug auf eine Untersuchung unter 164 High-School-Lehrern der Universität Utrecht: Man könne sich durch Gespräche mit Burnout-Kollegen infizieren lassen, meint der Studienleiter Professor Arnold Bakker und setzt zur Stärkung des Abwehrsystems auf Begeisterungsfähigkeit:
Wenn Sie Ihren Job lieben, zeigen Sie es Ihren Kollegen, denn Enthusiasmus ist ebenfalls ansteckend. |
Ich stelle mir das gerade mal so vor: ein Kollege sitzt spannungslos, fassungslos und hilflos vor mir, kaum in der Lage auszudrücken und ich erzähle ihm, wie schön der Job doch eigentlich ist. Aber das ist halt der Unterschied zwischen Burnout und einer vorübergehenden Erschöpfung. Ein Unterschied, der im alltäglichen und medialen Sprachgebrauch nicht so genau genommen wird, dabei ist er himmelhoch: Ein früherer Kollege hatte vor einem Jahr ein Burnout, war wochenlang nicht in der Lage, überhaupt aufzustehen und ist immer noch nicht an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Das ist nämlich in Wahrheit eine Art Depression höchsten Grades. Während das, was häufig als Burnout deklariert wird, vermutlich schon unser Vorfahre Ötzi vom Hauslabjoch kannte: eine vorübergehende Antriebsschwäche, Niedergeschlagenheit und Gestresstheit. Das Problem nur: diese Vermischung macht die Krankheit salonfähig, trägt geradezu zu ihrer Verbreitung bei. Jedenfalls wächst in der Bevölkerung die Angst vor dem Krankheitsbild. Ein Sprecher der Deutschen Angestellten erkärte das mit der öffentlichen Berichterstattung. So berichtet Stefan Niggemeier, der im Spiegel fragt:
Wird Burnout das neue Hitler? Gleich zwei ähnlich aussehende Titel innerhalb weniger Monate widmete der Spiegel 2011 dem grassierenden Erschöpfungszustand, beide verkauften sich bestens. |
Ansteckend ist also mehr das Thema als die Krankheit, wie Christian Geyer in der FAZ verdeutlicht. Sein Thema im Feuilleton: Die Magazinmacher leiden unter wahrem Burnout.