Habe ich einen Bullshit-Job? Keiner meiner Nachbarn würde mir das so ins Gesicht sagen, aber ein wenig Vorwurf schwingt doch mit angesichts von Themenverdrossenheit, Transformationsmüdigkeit und einer Presse, die mal als zu aktivistisch, mal als zu skandalgetrieben wahrgenommen wird und in jedem Fall nicht alle Wünsche bedienen kann. „Ich mag gar nicht mehr die Zeitung aufschlagen, weil da ja doch nur steht, dass nichts mehr geht“, klagt eine Nachbarin. Warum muss es immer die Negativschlagzeile sein, wendet sie sich an mich.
Dass Negativschlagzeilen besser geklickt werden als positive, hat evolutionsgeschichtliche Gründe: Wenn unsere Vorfahren nicht nach Gefahren Ausschau gehalten hätten, wären wir vermutlich heute gar nicht da. Es aber nur mit der Abhängigkeit von Quoten, Reichweiten und Abo-Zahlen zu erklären, wäre zu kurz gegriffen. Vielmehr hat es mit der Rolle und Funktion der Qualitätsmedien als „Vierte Gewalt“ zu tun: Ein Team von unabhängigen Journalisten schaut hinter die geschönten Meldungen der Lobbyisten, liest PR-Meldungen kritisch und kontrolliert die Mächtigen. Es kommen leider nicht immer nur positive Nachrichten dabei zum Vorschein.
Das gilt für jede Branche und natürlich auch den Journalismus selbst. Schlagworte wie Claas Relotius oder die Oregon-Petition (angeblich hätten 30.000 Wissenschaftler den Erkenntnissen des Weltklimarats widersprochen, dabei waren nur 0,1 Prozent der Unterzeichner in der Klimaforschung aktiv) belegen: Der Journalismus kontrolliert sich durchaus selbst. Dank kritischer Medien-, Wissenschafts- und Klimaberichterstattung.
Eine Branche mit reichlich schönem Schein ist die Finanzbranche. Jongliert sie etwa bei Fondsbeteiligungen mit NAV (Nettoinventarwerten), Mindestannahmeschwellen und fungiblen Aktien, wird es neben vielen Worthülsen und Seifenblasen kompliziert. Ein von der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) gebilligter „Wertpapierprospekt“ (sic!) kann schon mal ein Pfund wiegen, 80 Seiten stark sein – und ist den Anlegern eines geschlossenen Immobilienfonds gerade als „Dialogpost“ nach Haus geschickt worden. Aussen ein reinweißer Umschlag mit der Aufschrift „Wichtige Vertragsunterlagen“, Absender DFH. Innen eine jadefarbene Mappe mit einer weißen Drei. Das Kürzel steht für die „Deutsche Real Estate Invest AG“, den Dreiklang aus „Sicherheit, Rendite und Liquidität“ und eine Neugründung der Deutsche Fonds Holding (DFH), die geschlossenen Büroimmobilienfonds verwaltet. Die DREI AG wurde gegründet, um bis zu 80 Pozent der Anteile an 19 geschlossenen DFH-Fonds zu übernehmen. Heißt, den Kommanditisten bleiben drei Optionen: an Bord bleiben, ihre Fondsanteile in Aktien wandeln oder den Exit vollziehen.
Was soll Tantchen, die sich vor zwölf Jahren mit einem Investment von 21 TEUR (inklusive 1 TEU Agio) an einem der Fonds auf Anraten ihres Haspa-Beraters beteiligt hat, also tun?
- Nie wieder Geldanlagen eingehen, die sie nicht versteht.
- Nichts übereilen und das Kleingedruckte lesen: Seite 13!
- Genau nachrechnen: Wie viel Rendite hat sie wirklich erzielt, was bekommt sie für ein Tauschangebot von EUR 15.245,70 (Aktien, die sie noch weniger versteht) und ein Kaufangebot von EUR 12.196,56 (mit Chance plus-minus Null für eine zwölfjährige Anlage)?
- Möglichst recherchieren: Was und wie lässt sich etwas über den NAV herausfinden, der am 30. Juni die Grundlage für die Berechnung des Angebots bildete. Ist er seither gesunken oder gestiegen?
Aber das ist schon anspruchsvoll. Kann der Finanzjournalismus helfen?