Die App in mir

Die App in mir

Noch nie waren die Bedingungen so gut wie heute: für Freiheit & Flexibilität, Kind & Karriere, Selbstverwirklichung & Smart Working – so nennt sich ein modernes Bürokonzept, dass ohne feste Arbeitsplätze, dafür mit viel Design und unterschiedlichen Zonen für konzentriertes Arbeiten oder Austausch aufwartet. Es macht deutlich, dass Arbeit längst kein Ort mehr ist – sie lauert überall. Aber niemand kann ständig aus der Routine ausbrechen und so kommt mancher „Coworker“ so früh wie möglich ins Büro, um seinen Lieblingsplatz zu reservieren – wie die Urlauber mit ihrem Strandlaken zum Pool, weshalb man auch vom „Mallorca-Syndrom“ spricht.

Auch lese ich in letzter Zeit häufiger von der „Vereinbarkeitslüge“, Kinder und Karriere seien gar nicht vereinbar, sagen Mütter wie Väter: Es sei sogar die Hölle, schreiben die Zeit-Journalisten Marc Brost und Heinrich Wefing, wenn man mit dem Junior am Sonntag zum Bolzplatz geht und gar nicht bei der Sache ist, weil zwischenzeitlich das Smartphone lockt, und bieten dazu sogar eine „Lange Nacht der Zeit“am 07. Mai im Körber-Forum an – zu Gast Arbeitsministerin und Mutter Andrea Nahles.

„Die Hölle der Vereinbarkeit“, ganz ehrlich, das ist maßlos übertrieben. Die Hölle sind derzeit das Mittelmeer, Syrien, Somalia, Mali. Aber auch wenn es uns schwer fällt, mit der Flut der äußeren Reize und inneren Impulsen fertigzuwerden, es ist dennoch wider das Prinzip der Kausalität, geben wir den Tools und Techniken die Schuld dafür, dass wir uns ständig ablenken lassen. Ein Beispiel: Der schöne Abend, das gute Gespräch, das erste Rendez-vous finden ein jähes Ende, weil das Handy uns piepend, blinkend oder schnurrend daran erinnert, dass wir jetzt gefälligst ins Bett zu gehen haben, um unsere optimale Schlafzeit von 7,38 Stunden noch zu schaffen. Ja, blöd gelaufen, aber wer ist wohl schuld daran, wenn wir so total von der Nützlichkeit dieser oder anderer Apps, die unser Leben überwachen, überzeugt sind?

Ich behaupte, die Bedingungen waren noch nie so gut wie heute, aber sinnvoll nutzen müssen wir sie schon selbst. Ein Freund von mir hat die Zeit, die er ganz allein und konzentriert mit seiner kleinen Tochter verbringen will, ebenfalls in sein Handy eingespeichert. Weil es sich nämlich in diesen Zeiten konsequent herunterschaltet und mich freundlich darauf hinweist, dass sich der Angerufene gerade in einem „Meeting“ befindet, aber anschließend umgehend von meinem Anruf oder der SMS unterrichtet wird. Mein Freund nutzt auch digitale „Butler“, um einen Mittagstisch zu reservieren oder Bürobedarf zu bestellen. Er sorgt schon unterwegs im Zug für nahtlose Anschlussmobilität und beschränkt sich bei einer Hotelbuchung auf Ort, Datum und Kategorie. Den Rest macht das System – zum besten Preis. Alles nur, um mehr Zeit für sich und seine Familie zu haben.

Wenn ich genug von der Reizüberflutung habe, laufe ich eine Runde im Wald. Ohne Handy, Herzfrequenzuhr und digitalen Trainingsplan. Mein Körper weiß schon ganz gut selbst, wie lange und schnell ich laufen darf, um wieder einen freien Kopf zu bekommen.

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