Jeder ist Entscheider… zumindest am 23. Februar. Aber wer schafft es aufs rote Sofa beim NDR? Oder zu Entscheider treffen Haider? Künstler, Journalisten, Wissenschaftler. Klar, es sind auch Politiker, Firmenchefs und Millionäre darunter, überwiegend Männer. Wer mit ihnen gleichziehen will, sollte mindestens ein Buch schreiben (lassen) und veröffentlichen. Es hilft aber auch, es bei Youtube oder Instagram auf eine ansehnliche Followerschaft zu bringen.
Merke: Medienschaffende mit Reichweite erreichen Medien
Scheint banal, ist aber auch fatal, weil es zeigt: Journalismus fischt zu sehr im eigenen Teich, wenn Wortkünstler mit Sachbuchautoren oder Moderatoren mit Schauspielern sprechen. Dazu kommt ein AAA-Rating: Akademiker, Alleinunterhalter, Artists sind besonders gefragt. Wer die Liste der Gäste bei Haider oder DAS! durchscrollt wird schnell feststellen: Arbeiter, Altenpfleger und Ausländer sind kaum unter den Gästen – und fühlen sich demzufolge auch kaum gehört. Die Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 hat gerade herausgearbeitet, wie das Gefühl des Abgehängtseins die Demokratieverdrossenheit beflügeln kann.
Daher möchte ich mal für eine andere Sichtweise plädieren, fern von Selbstdarstellungs-Posen und Glamour-Faktor. Ist nicht auch die Reinigungskraft, die schwungvoll und singend in der Frühe durchs Fitnessstudio fegt, erfolgreich? Warum fragt man sie nicht mal nach ihrer Bettkantenentscheidung, morgens um halb vier die Federn zu verlassen statt sich noch mal umzudrehen und später krankzumelden? Aber sobald ich meinen Auftraggebern No-Names als Gesprächspartner vorschlage, kommt die Gegenfrage: Warum sollten wir gerade mit dieser einen Person unter 84 Millionen sprechen? Wer will das lesen? Das werde nicht geklickt.
Wagen wir doch mal ein Experiment, schließen die Augen und denken eine Weile zurück und nach: Wer sind die drei Menschen, mit denen wir uns zu einem Gespräch auf dem roten Sofa treffen möchten? Haben wir ein Interesse an ihnen, gilt das vielleicht ja auch für andere – und weniger Menschen bleiben außen vor.
Entscheidende Menschen treffen
- Etwa die gut gelaunte Fleischverkäuferin bei Edeka, die mich neulich beim Käse bedient hat. Nach über 30 Jahren hinter der Fleischtheke habe sie einen Herzinfarkt erlitten, zu viel rotes Fleisch, meint sie. Sie hat sich wieder aufgerappelt, auf Diät gesetzt und will noch bis zur Rente weitermachen.
- Der Ingenieur, der das Erfinden nicht lassen kann, auch nicht mit 80+. Das hat ihn durchaus wohlhabend gemacht, aber er will nicht das ganze Geld für sich und seine Kinder. Er investiert in eine Stiftung, die seine Leidenschaft für Technik und fürs Tüfteln weitergibt. Zum Wohle eines Standortes, der gerade sehr gefährdet ist.
- Die Schülerin, die über grausame Verbrechen der Nazis in der Gedenkstätte Grafeneck aufklärt – und von der ich in der Tagesschau erfahren habe. Passend zum Holocaust-Gedenktag. Man schafft es nämlich sehr wohl ins Überregionale, wenn man an aktuelle Themen anknüpft und über sie hinausweist: Wie sieht Lotta Brockel das Geschichtswissen ihrer Generation?
Mehr Bandbreite, andere Blickwinkel
Nein, Wahrheit ist keine Verhandlungsmasse und daher muss auch nicht jedem ein Podium geboten werden, über den Stimmzettel und soziale Medien hinaus. Es geht mir darum, den Blick zu weiten auf andere, unverfälschte Gesprächspartner. Apropos: Wenn KI-generierte Inhalte sowieso das Netz so sehr fluten werden, dass journalistische Inhalte darin untergehen, dann treffen wir uns doch lieber in der Wirklichkeit. Mit Menschen, mit denen es sich lohnt, ins Gespräch zu kommen.