Schon Millennials sollen tief Luft holen, bevor sie ihre Videobotschaft rüberbringen, habe ich gelesen. Wenn das stimmt, wird die Generation X vermutlich erst mal das Mantra OM einstimmen und Babyboomer dürften regelrecht einschlafen, wenn sie sich auf TikTok präsentieren wollen. So viel Zeit hat die Zielgruppe dieser Plattform aber nicht. Lediglich zwei Sekunden gibt sie einem Video, um zu entscheiden, ob es ihre Aufmerksamkeit verdient oder nicht.
Das sagt einer, der 23 ist, damit zur Generation Z gehört, und sich „Newsfluencer” nennt. Er macht Videos, die beispielsweise mit dem Satz „Ich war heute bei Ikea“ aufmachen, dann aber überleiten auf die rumänischen Karpaten und schützenswerten Wälder, die bei Ikea im Regal landen würden. Videos ohne Millennial Pause, die auf TikTok hunderttausend Follower erreichen. Das muss man erst mal hinkriegen. Respekt!
Nachahmenswert für den klassischen Journalismus?
Ich hoffe nicht. Schließlich braucht guter Journalismus:
- Tiefe und damit fachliche Exzellenz zum besseren Verständnis und ideologiefreier Einordnung. Wahlrechtsreform, Fünfprozentklausel und Grundmandate lassen sich nicht in einem Satz oder zwei Sekunden erklären, um ein aktuelles Beispiel zu nennen.
- Marke und damit erfahrbare Dienstleistungen und Assoziationen, die (potenzielle) Kunden mit dem Medium verbinden. Dazu gehören Sprachduktus, gewichtete Themen, ein wiedererkennbares Layout. Nur: Auf Social-Media-Plattformen verwaschen die Unterschiede, weil die Inhalte so stark verkürzt werden, dass egal wird, woher sie stammen.
- Atem, und den nicht zu kurz. Der Wettbewerb um unsere Aufmerksamkeit ist hart und langwierig.
Was also bleibt für den erfolgreichen Dialog mit Gen Z?
- Nachwuchsjournalisten einstellen, die wissen, was wie auf TikTok funktioniert, die kurz und pausenlos kommunizieren können und sich gegen extreme Themen engagieren wollen.
- Aber sich nicht anbiedern: Safe (auf jeden Fall), same (geht mir genauso) und sus (suspekt) ist Jugendsprache, aus dem Munde eines Babyboomers wirkt sie lächerlich.
- Nichts verkürzen: Keine Frage, wir brauchen Erkennungssymbole. Ludwig XIV. beanspruchte die Sonne, das Christentum das Kreuz, Kamala Harris die Kokospalme. Aber nicht jedes Emoji kommt beim Empfänger richtig an, daher lieber mal den direkten Austausch suchen und dafür Zeit mitbringen.
Übrigens auch junge Leute sehnen sich nach Entschleunigung und Durchatmung. So im 90-minütigem Yogakurs, der neben Stretching, Kopfstand und Sonnengruß Zeit für Pranayama, also Atemwahrnehmung und -lenkung bietet. Im Raum dreißig Leute, darunter sechs Schülerinnen. Warum noch mal genau, will die Kursleitung das Zeitfenster kappen?
Die Leute wollen es so. Niemand hat mehr Zeit, 90 Minuten auf der Matte herumzuliegen!
Dreißig Mitglieder haben dafür Zeit, Pauschalisierung greift zu kurz