Vor kurzem habe ich ein Interview mit einem Professor für Digitalisierung geführt. Das war keineswegs so short & speedy, wie man es erwarten könnte, sondern sehr umfassend, vorausschauend und lehrreich. Nebenbei ging es um die Frage, die gerade aktuell die Runde macht: Wie viele und welche Jobs fallen den intelligenten Algorithmen in nächster Zeit zum Opfer. „Jetzt automatisieren wir die Denkarbeit“, sagte der Professor und nannte als Beispiel Juristen, die in ihrem ersten Job in einer Wirtschaftskanzlei Vertragstexte vergleichen dürfen. Jedenfalls bisher. In nächster Zeit werde das die Software erledigen, „und zwar besser, schneller und günstiger.“
Dass die Software das besser kann, will ich gar nicht bestreiten. Dass deshalb die Jobs für Juristen weniger werden dürften, schon. Denn Rechtsanwälte, Rechtswissenschaftler und Richter sitzen überall – in der Politik, in Aufsichtsräten und Verbänden. Tendenz steigend. Und so erinnert es fast schon ein wenig an den gallischen Widerstand gegen übermächtige Römer, wenn ein Mitglied im Ortsverein des Grundeigentümerverbandes betont: „Ich habe mich immer dafür stark gemacht, dass nicht ein Rechtsanwalt den Vorstand übernimmt.“ Der ist nämlich Grundstückssachverständiger und damit eine echte Ausnahme: Im Hauptverband geben Rechtsanwälte den Ton an.
Nichts gegen Juristen, Gott bewahre, sie haben mir auch schon zu meinem Recht verholfen. Aber wenn sie zu viele Bereiche des Lebens dominieren, wird es anstrengend, vor allem die Kommunikation. Dann werden sämtliche Argumente und Sachverhalte auseinandergepflückt, Bedenken an Skepsis gereiht, Verantwortung abgegeben, dann haben wir den Salat der „Verjustifizierung“.
Im selben Ortsverein treffe ich einen Vermieter, den andere gern als „Vollpfosten“ abtun, weil er es gewagt hat, einer alleinerziehende Frau mit zwei kleinen Kindern eine seiner Wohnungen zu vermieten. Sie wieder loszuwerden, ist nicht das Problem, sondern wie er aus der Nummer herauskommt: Die Mieterin hat nämlich noch rechtzeitig vor der Kündigung eine dieser Sofort-Rechtschutzversicherungen abgeschlossen. Diese sind teurer als andere, haben eine längere Laufzeit und vermitteln die Anwälte aus dem Netzwerk der Versicherung selbst. Sie lohnen sich also nur für Leute, die nicht nur rückwirkend gerichtlich streiten wollen, sondern auch innerhalb der nächsten drei Jahre. Damit wird der Auseinandersetzung über Rechtsanwälte Tor und Tür geöffnet und die Sprechstunde der Mediatorin bleibt leer.
Mein Plädoyer:
- Reden wir lieber miteinander statt übereinander, wir können voneinander lernen und Vorurteile ablegen (Nein, der Vermieter ist nicht immer der geldgierige, hartherzige Typ, auch wenn er sich als Hassobjekt gut verkaufen lässt und es die Rückwärtsversicherung nur für Mieter, nicht für Vermieter gibt!)
- Machen wir es, wie in einem guten Interview: Der eine hat was zu fragen, der andere was zu sagen. Im Idealfall Authentisches, Meinungsstarkes, das echte Leben – und für den Leser relevant.
- Lassen wir uns nicht einschüchtern: Der „Playboy“ hat im Februar darauf verzichtet, ein aus seiner Sicht stark zensiertes Interview mit Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick abzudrucken. Und sein Vorgehen auch „in eigener Sache“ öffentlich gemacht. Die Antwort kam postwendend – von einem renommierten Medienanwalt. Mit den üblichen Drohgebärden: Einstweilige Verfügung, Gegendarstellung, Richtigstellung.
Nein, um die Zukunft der Anwälte muss sich niemand ernsthaft Sorgen machen. Um unsere Gesprächskultur vielleicht schon.