Im Erstgespräch ist die Redakteurin noch ganz angetan. Dass Kultur, Wirtschaft und Hochschulbildung auch in ihrem Stadtteil an einem Strang ziehen, das zieht auch bei ihr. Namen wie Ligeti-Zentrum, Aurubis, Asklepios-Klinik oder TUHH tun ein übriges und so bittet sie um ein paar Infos. Kriegt sie. Schließlich ist es meine Aufgabe, in der Hamburger MINT-Woche das zugegeben spröde Kürzel mit Leben zu füllen. MINT – vier barrierestarke Buchstaben ohne weiche Rundungen. Man läuft dagegen und schlägt sich die Nase blutig. Und die Auflösung des Akronyms macht es nicht viel besser. Wer Kinder und Jugendliche für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik begeistern will, sollte aufhören in Fächergrenzen zu denken. Spannend wird es erst, wenn man die Kombination dieser Fächer dabei nützt, Phänomenen des Alltags auf den Grund zu gehen, zu erklären und zu überprüfen, zu verstehen und zu gestalten. Aber ach, das ist auch ganz schön komplex.
Zu komplex für schnelle Klicks. Das ist zumindest die Überzeugung der Redakteurin. Journalismus müsse auch wirtschaftlich denken, sonst gebe es ihn bald nicht mehr, sagt sie. Schreiben, was der Leser lesen will: Was klickt, sind nicht Erdenretter-Berufe und schon gar nicht MINT-Bildung, sondern Harburg-Praline statt Dubai-Schokolade, der gemütlichste Weihnachtsmarkt der Stadt oder die nächste Großbaustelle an der B73.
Neu, sexy, klickstark
Seit 20 Jahren spricht die Branche über „Online First“, Klickraten und SEO-optimierte Texte. Aber nun, wo Print zum Restposten wird, verkommt der Onlinejournalismus zum Dashboard und feiert meistgelesene Texte, die oft nicht viel mehr als Bildstrecken sind. Das setzt allerdings die Kritik- und Kontrollfunktion aufs Spiel, für den der Journalismus einmal angetreten ist.
Das sagt nicht die PR-Frau, die MINT-Themen verkauft. Das sagen auch gestandene Journalisten. Auf jeden Fall hinter vorgehaltener Hand:
Retten wir den Journalismus, bevor nur noch eine Content-Produktion übrigbleibt, der egal ist, ob sie Journalismus verkauft oder Mettwürste
Journalist 11, Wir produzieren keine Eiscreme
Das schreibt ein Journalist aus einem regionalen Verlagshaus. Ein Aufschrei, aber unter Pseudonym, weil Kritik unerwünscht sei und sich alle aus Angst um ihren Job einig seien, dass an der Digitalstrategie unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit kein Weg vorbeiführe. Selbst wenn man mal für ganz andere Ideale in den Beruf eingestiegen ist. Selbst wenn Social Media und KI klickstarke Listicles und Bilderstrecken viel schneller und billiger können.
Wenn die Redaktionen messen, dass sich „Demokratie“ nicht mehr klickt, wie schon in mancher Konferenz zu hören war, was geschieht dann?
Aus der Wutrede zum Lokaljournalismus
Neu, sexy, klickstark, das sind leider keine Kriterien für Relevanz. Siehe MINT: Schon die Fächer dahinter gelten als nicht sexy. Sie bringen keine Klickzahlen. Das alles ist auch nicht neu – seit zwanzig Jahren wird der Fachkräftemangel beklagt. Aber ist es deswegen nicht relevant. Das Gegenteil ist der Fall.