Draußen tanzen bunte Blätter Ballett, drinnen im “Spirit Loft” schütteln sich Meridian-Spa-Besucher den Stress aus den Gliedern. Keine Frage, Entspannung steht in diesen Tagen hoch im Kurs. Und wenn der Kurs im Wellnesssporttempel auch noch den Titel “Entspannung im Alltag” trägt, reiht sich Matte an Matte. Als sich die fünfundfünzigste Teilnehmerin noch nach Kursbeginn kurz vor meiner Nase breit macht, werde ich unentspannt. Nicht so Nitya. Die Kursleiterin setzt ihre Anmoderation kurz aus, verweist auf letzte freie Flecken in den Reihen, wartet gelassen bis sich das Hin- und Herrücken auf dem Holzfußboden gelegt hat und setzt dann neu ein. Progressive Muskelentspannung, Lockerungsübungen für Schulter, Kiefer und Nacken, Augengymnastik, Autogenes Training. Es geht uns gut. Die Syrer würden den Kurs “Überleben im Alltag” wählen, denke ich. Bleib bei der Übung, konzentriere dich auf den Atem, sagt Nitya, als hätte sie meine Gedanken erraten.
Warum ist Entspannung in unserer so reichen Gesellschaft so angesagt? Zum einen, weil das dauernde Starren auf Bildschirme und Display nicht nur auf die Augen und den Nacken, sondern auch auf die Nerven geht. Zum anderen, weil für immer mehr Menschen die Arbeit nie aufhört – gerade wegen der modernen Technologie. Mails um Mitternacht, Berge von Überstunden, hohe Unternehmensziele, die aber zukünftig bitte schön mit halb so viel Personal erreicht werden sollen. Alles unter dem Slogan: “Bei uns kannst du alles erreichen.” Im Klartext: “Wenn du auf der Strecke bleibst, liegt es nur an dir”, übersetzt der Autor Martin Wehrle den modernen Arbeitswahn.
Ich habe nichts gegen Stress, moderne Technologien und freie Zeiteinteilung. Im Gegenteil. Aber alles muss im Lot bleiben und es gibt ein Leben neben dem Berufsleben. Nitya treffe ich nach dem Kurs im Geräteraum wieder. Sie klemmt ihr Tablet auf das Gerät,wählt ein Programm und schon kommt der ganze tiefenentspannte Körper in Schwung. Das geht übrigens auch außerhalb eines megateuren Sportstudios. Ich empfehle die musikfreie Joggingrunde auf wunderbar weichen Laubteppichen. Die Etnologin Katharina Zaugg plädiert für Putzpartys mit Freunden, guter Musik und einem Glas Prosecco zwischendurch als Belohnung. Jedem die Entspannung, die er verdient.