2033 soll Schluss sein. Vielleicht auch erst im Jahr 2038, je nachdem welcher Expertise man folgt. Jahreszahlen, die manche historisch interessierte Person schaudern lassen, aber in diesem Fall geht es um das Auslaufmodell der gedruckten Zeitung. Und da war für den Kreis Greiz in Ostthüringen oder jetzt den Landkreis Prignitz in Brandenburg schon 2023 Schluss. Ostthüringer Zeitung beziehungsweise Märkische Allgemeine werden hier nicht mehr zugestellt. Es lohnt sich einfach nicht.
Als ich 1995 in den Journalismus quer eingestiegen bin, wurden noch insgesamt 18,1 Millionen Lokalzeitungsexemplare gedruckt, heute sind es nur noch halb so viele. Damals machte allerdings schon das WWW-Protokoll von sich reden, auch in meiner Tageszeitung. Aber ihr, mir und vielen anderen erging es damals noch wie Trendforschern, die prognostizierten:
Das Internet wird kein Massenmedium
Matthias Horx, zitiert von der FAZ, am 02.03.2001
Will heißen, das weltumspannende Datennetz als Ersatz für die gedruckte Lokalzeitung oder die von mir (im feuchten Keller gesammelten und daher inzwischen längst entsorgten) Spiegel-Jahrgänge, das galt lange als unvorstellbar. Fast so absurd wie mir heute virtuelle Influencer erscheinen, die rein computergeneriert sind und denen auf Instagram Millionen Menschen folgen. (Oder handelt es sich bei den Followern auch nur um Bots? Und ist das überhaupt noch bedeutsam?)
Meine Influencer sind nach wie vor Wissenschaft, die Stiftung Warentest oder eben auch die gedruckte Zeitung. Gedruckt macht zumindest bei anspruchsvollen und langen Texten sehr wohl einen Unterschied, wie ein Neurowissenschaftler bei France Inter betont. Titel der Sendung: „Warum die Lektüre unsere Kinder intelligenter macht?“ Unterthema: Warum wir dabei Papier dem Bildschirm vorziehen sollten. Tenor: Am Bildschirm lesen wir schneller, partieller, weniger konzentriert. Gerade bei längeren Texten sollten wir daher das Papierformat vorziehen, weil wir uns durch die räumliche Einheit (kurzer oder langer Artikel, wo auf der Papierseite angeordnet?) Inhalte, Chronologie und Organisation von Ereignissen besser einprägen könnten.
Was ich persönlich an Print so schätze:
- Haptik und Visualität: Bilder wirken anders und großartiger als auf dem Bildschirm, die Dreimensionalität des Mediums bindet meine Konzentration.
- Überhaupt der Bildschirm: eine Wohltat, sich mal von ihm zu lösen und der neuen Nachricht, dem nächsten Klick oder Link zu entkommen.
- Diversität: Mich erreichen einfach nur durchs Umblättern Themen, die ich im Netz nie gesucht und vermutlich auch nicht gelesen hätte.
Warum die Wendung„lügen wie gedruckt“ einen neuen Dreh braucht:
- Journalismus ist nun mal ein Geschäftsmodell, das sich rechnen muss. Papierdruck und Zustellung tun das in ländlichen Regionen heute nicht mehr.
- Es ist auch eine Generationsfrage: Menschen, die noch rein analog aufgewachsen sind, sind bald Geschichte.
- Dann kommt eine Generation, die Arbeit, Privates, das gesamte Wissen und Weltgeschehen konsequent in einer Cloud bei sich trägt. Lokalzeitungsabonnent wird sie nur, wenn der Preis günstig, die Verfügbarkeit uneingeschränkt und die Hürden gering sind.
Hoffen wie gedruckt
Print geht, Journalismus bleibt, so zumindest die Hoffnung. Die digitale Version des Prignitz-Kuriers hat eine Relevanzoffensive gestartet und ist damit durchaus erfolgreich: Im Kontakt mit Abonnenten, Alltagssorgen und Fragestellungen aufnehmen und nachgehen, das könnte auch ein Garant für Sicherheit, Demokratie und Lebensqualität sein. US-Studien haben nachgewiesen, dass in Nachrichtenwüsten
- die Wahlbeteiligung sank: Politik und ihre Entscheidungen wurden weniger thematisiert
- die Umweltverschmutzung zunahm und Unternehmen häufiger Gesetze brachen: Es schaut ja niemand mehr so genau hin
- die Steuern stiegen: Schon allein um die Kosten für Gerichts- und Bußgeldverfahren zu decken.