Gespräch zwischen zwei Jugendlichen im Bus, es geht um irgendwelche Schönheitsoperationen, also die Frage, wie dem mit Photoshop optimierten Aussehen im Social Media Profil möglichst in natura entsprochen werden kann. Ich versuche, nicht weiter zuzuhören und mich auf die Zeitung zu konzentrieren. Aber ein Satz der Unterhaltung drängt sich zwischen meine Aufmerksamkeit und die Zeilen auf dem Papier: „Ich habe es im Internet gelesen“, so die junge Frau. Seither will mir der Satz nicht mehr aus dem Kopf.
Zu meiner Schulzeit hieß es noch, „stand im Abendblatt, in der Bravo“ oder „das habe ich in ‘Abenteuer Forschung’ gesehen.“ Nicht, dass diese Quellen immer fehlerlos gewesen wären, aber es waren zumindest (Sekundär-)Quellen. Das Internet aber ist keine Quelle, es ist ein Sammelsurium unfassbar vieler Meinungen und Meldungen, es ist Lüge und Wahrheit zugleich. Gerücht und Gericht, Fake und Fabel, Herabsetzung und Hetze stehen direkt nebeneinander, sind blitzschnell verfasst und für alle zugänglich gemacht – ganz ohne Vieraugenprinzip.
Wenn ich mich auf solchen Seiten und Kommentarspalten mal verirre, bin ich mindestens verwirrt, wenn nicht erschüttert. Woher kommt so viel Hass auf in meinen Augen doch so etablierte und zugleich unterschiedliche Medien wie Zeit, Spiegel, ARD und Bild? Sicher werden da Fehler gemacht, darf man Berichte oder die Auswahl und Behandlung der Talkshow Gäste kritisieren, aber bitte gepflegt, fair und verhältnismäßig. Da sucht die dpa beispielsweise per „Hackathon“ nach Softwareprojekten gegen den Hass, genauer, um die Nachricht von vorgefassten Meinungen zu trennen und was erntet sie? Vorgefasste Meinungen – jedenfalls von Kommentatoren die sich „haschmich“, „Cabriofahrer“ oder „KeyzZ“ nennen und denen es ganz bestimmt nicht um Meinungsaustausch geht, sondern ums Rechthaben.
Was dagegen getan werden kann? Ich habe keine Rezepte, ich möchte nur zu anmerken:
1. Wenn uns unterwegs vulgär beschmierte Toilettenwände begrüßen, was tun wir: Den stillen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen, die Hände waschen und das Geschmiere vergessen. Recht so.
2. Vorm Kommentieren kommt das Kapieren. Daher glaube ich nicht, dass es unsere Demokratie besser macht, wenn jeder zu allem und jedem unablässig seinen Senf dazugeben darf. Vor allem nicht unter irgendwelchen Tarnnamen.
3. Historiker vor: Seit der Aufklärung sollten wir gelernt haben, zu argumentieren, Quellen zu prüfen und den Dreischritt von These, Antithese und Synthese kennen. Nur: Das Spiel mit Emotionen dürfen wir auch nicht den anderen überlassen.
PS. Wer einen ganz aktuellen Einblick aus der Sicht eines Betroffenen wünscht, mache sich sogleich auf den Weg:05.12.2016 –Rechtshaus, Rothenbaumchaussee 33, Hörsaal
Medienkritik als Hassrede – aus der Sicht eines Betroffenen
Dr. Kai Gniffke, Erster Chefredakteur ‘ARD Aktuell’, Hamburg