Instrumentalisierung: Denken wir noch oder informieren wir uns nur?

Instrumentalisierung: Denken wir noch oder informieren wir uns nur?

Der Sattelschlepper, der in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gesteuert wurde, steuerte auch die Weihnachtsgottesdienste in Deutschland. Sicher das durfte, das konnte nicht unerwähnt bleiben. Aber die Frage ist, ob der Gottesdienst nur die zur Schau getragene Betroffenheit verstärkte und damit möglicherweise Ängste auslöste, wie meine Freundin es in Fuhlsbüttel erlebte. Oder ob er zu einer gewissen Distanz und Beruhigung beitrug, wie es der von mir besuchte Gottesdienst in Halstenbek versuchte. Da stellte der Pfarrer das Titelbild der Bild-Zeichen („Angst!“ mit Ausrufezeichen) neben das der Berliner Morgenpost mit dem schwarz-rot-gold beleuchteten Brandenburger Tor und sprach: „Fürchtet euch nicht!“. Ich fand das bewegend und beruhigend zugleich!

Im Interview mit dem Deutschlandfunk hat Heiner Koch, Erzbischof von Berlin, Versuche kritisiert, den Anschlag für die Eröffnung des Wahlkampfes zu instrumentalisieren. Rechts- wie Linkspopulisten seien angesichs komplexer Zusammenhänge überfordert. Sie neigten deshalb zu sehr starker Vereinfachung.Ich fürchte, das gilt nicht nur für die Extremen. Wir alle neigen dazu, drucken nach solchen unfassbaren Taten blitzschnell Herzen aus und halten sie in die Nacht, oder setzen auf digitale Kerzen oder den Hashtag #prayforberlin, um Gefühle auszudrücken und es anderen gleichzutun. Aber Kontrolle über ein insgesamt unbegreifliche Situation gewinnen wir damit nicht. Die gibt es nun einmal nicht.

Es erscheint Paradox. Auf der einen Seite erleben wir eine digitale Transformation, die unsere Arbeitswelt radikal verändert, rationalisiert und alle Bereiche umfasst. Mit ganz viel Logik, Effizienz, Analyse und Algorithmus. Auf der anderen Seite spült uns genau dieselbe Logik Beiträge ins soziale Netzwerk, die vermeintlich zu uns passen, uns emotionalisieren und aufpeischen. Da ist Gefühl, Angst, Wut. Das Irrationale als Antwort auf eine logische, immer rationaler tickende Digitalisierung, als Aufbegehren gegen die Moderne?

Ein Bekannter erklärt den Erfolg der Rechtspopulisten neurowissenschaftlich: Sie setzten auf Geschichten, die ins Gehirn gehen, den Adrenalinspiegel hochtreiben und sich dem Organisationsprinzip des Gedächtnisses anpassen. Das verlange nach Kohärenz, nicht nach Akkuratheit oder gar Wahrheit.

Doch wir sollten es den Populisten nicht zu einfach machen:

  1. Fragen wir uns doch einfach mal, bevor wir traurige Emojis posten und teilen: Mache ich nur mit oder fühle ich tatsächlich mit?
  2. Versuchen wir Falschmeldungen von gesicherten Fakten zu trennen und wo wir nicht sicher sind, eigene Wissenslücken transparent zu machen.
  3. Erzählen wir unsere eigenen Geschichten, die Mitgefühl wecken, inklusive den Wunsch, Heilsames zu bewirken – ohne gleich jede Provokation mit einem Hashtag via Twitter aufzuwerten.

 

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