Ich bin nachhaltig unterwegs gewesen. Im Nachtzug, österreichisch „Nightjet“ genannt. Wobei der Name ein wenig irreführend ist, weil man am Tag viel schneller von Hamburg in die Berge kommt als nachts zurück. Der Zug legt unterwegs ein paar Verschnaufpausen ein, er bummelt hier und da, er will nicht mitten in der Nacht im Zielbahnhof der Schlafwagen-Nutzer ankommen. Dafür würde schließlich niemand fast 200 Euro hinblättern. Nein, die Gäste sollen ausschlafen – so zumindest die Idealvorstellung – und dann noch ein nachhaltig reichhaltiges Frühstück einnehmen, bevor sie am Zielbahnhof einlaufen.
Kaffee, Käse, Körner im Joghurt – man kann seine fünf Lieblingszutaten aus einer Speisekarte selbst zusammenstellen. Und obwohl ich keine Backwaren bestelle, weil die Option Zwei schon zwei davon enthält und somit reichlich für mich und meinen Mann zusammen, serviert der freundliche Schaffner doch noch zusätzlich zwei helle Semmeln. Kein Frühstück ohne Weißmehl, wird er gedacht haben. Aber zuzüglich zum süßen O-Saft und gezuckertem Joghurt fühle ich mich schnell nachhaltig gesättigt. Wenn auch nicht ganz glücklich, denn zwei Brötchen gehen neben reichlich Verpackungsmaterial wieder zurück. Immerhin die Brötchen sind unverpackt. Schmeckten aber dennoch ein wenig nach Pappe.
Gut fürs Image, schlecht fürs Klima
Damit sind wir schon beim Thema, der Nachhaltigkeit, im internationalen umweltschutzpolitischen Diskurs auch gern als „sustainability“ betitelt. Ein Begriff, der oft mehr mit Marketing und Reputation als mit Umdenken und neuen Geschäftsmodellen zu tun hat, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Auf jeden Fall macht es mich irre, wenn ich nun nachhaltigen Atomstrom, klimafreundliches Gas oder Nachhaltigkeitsberichte einer überwältigenden Mehrheit der DAX-Konzerne beziehen darf – zwar immer noch gedruckt auf blütenweißem Papier, aber kompensiert mit Spenden für Wiederaufforstungsprojekte.
Gut 200 Jahre beschäftigt uns der Begriff der Nachhaltigkeit schon, wie in einem Sonderdruck der Uni Mannheim zur „Zur Dynamik eines Sprachbildes“ nachzulesen ist. Ein Oberberghauptmann in Sachsen hatte schon hundert Jahre zuvor erkannt, dass langsam nachwachsende Bäume und schnell wachsender Erzbergbau sich nicht nachhaltig vertragen: Um Silber, Zink und Blei aus dem Erz zu gewinnen, brauchte man Feuer und damit Wald. Diese Erkenntnis führte 1713 zur ersten Abhandlung über nachhaltigen Waldbau. Es dauerte allerdings bis sich das im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzte und spätestens seit den Groko-Jahren alle Koalitionspapiere dominierte. Im 19. Jahrhundert war vor allem noch eine Mahlzeit nachhaltig, wenn man sie mit stopfendem Brotteig verlängerte.
Vielleicht hat die ÖBB diesen Begriff im Sinn. Wobei ich will da gar nicht mäkeln: Es ist ein nachhaltig vorgehaltenes Vorbild, wenn der Strom für den Zug und die Bahnhöfe hundertprozentig aus erneuerbaren Energien stammt. Es ist zudem ein wertschätzender Service, wenn jeder Gast eine Begrüßungstüte bekommt, mit der man sich mit Prosecco, Salz- und Schokonüssen beim Start der Reise zuprosten kann. Aber es geht mir um die Dimension: Würde man das hochrechnen auf so viele Gäste wie in einen Billigflieger Platz finden, käme schon eine Menge Müll zustande. Schließlich gibt es auch noch Frotteepantoffeln – für alle, die den Prosecco nachts wieder wegbringen müssen – Ohrenstöpsel, Schlafmaske und Wasser – für den gesunden Schlaf, auch wenn der Nightjet mal quietscht, helle Bahnhöfe durchfährt oder die Heizungsluft allzu trocken ist. Das Wasser gibt es in Plastikflaschen, den Rest in Folie verpackt.
Und in den Alpen schneit es Plastik
Liebe ÖBB, ihr macht einen guten Job. Er verdient es, die Nische zu verlassen und weit mehr als die 24 Gäste in einem Schlafwagen zu überzeugen. Aber dafür sollte er auch noch konsequenter werden, mit einem Service, der nicht im Müll landet. Auch wenn ihr dabei dem Gast an der einen oder anderen Stelle etwas Luxus vorenthalten müsst. Die Wasserflasche, Ohrenstöpsel und wärmenden Socken hat er doch eh dabei.
Anonymous
15. Februar 2022Liebe Deike, das ist ein sehr nett geschriebener Artikel. Hoffentlich liest ihn auch einmal die Deutsche Bahn! Der Begriff “Nachhaltigkeit” fand Präsenz in den Medien im Herbst 1997. Da war ich nach wieder aufgenommener Arbeit auf einem 1-wöchigen Workshop in der Sächsischen Schweiz, ausgerichtet von der Deutschen Umweltstiftung, wenn ich mich recht erinnere. Der damalige Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer hatte auf der Abschlussveranstaltung eine Rede gehalten und ich war tief beeindruckt. Zurück in Hamburg war ich mir sicher, dass der Begriff Nachhaltigkeit uns alle bald erreichen würde! Herzliche Grüße Bianca
Deike
16. Februar 2022Danke dir, liebe Bianca, für die Rückmeldung. 1997, ja das passt, gefühlt hat er sich seit der Jahrtausendwende in meinem Umfeld breit gemacht, aber du zählst ja zu den Trendsettern…