Neulich habe ich in der Zeit einen Artikel über Beate Klarsfeld gelesen: „Wen würden Sie heute ohrfeigen, Frau Klarsfeld“, lautete der Titel. Die Antwort der heute 78-Jährigen, die vor fast 50 Jahren dem früheren Bundeskanzler Kurt Kiesinger ins Gesicht schlug und ihn einen Nazi nannte: „Niemanden.“ Aber es gäbe doch immer noch viele Schurken zur Auswahl, hakt die Journalistin nach. Wen würde Klarsfeld auswählen, wäre sie noch mal jung? Keine Antwort. Dann: „Wissen Sie, so was wiederholt sich nicht. Würde ich nochmals jemanden ohrfeigen oder auch nur Antwort geben auf Ihre Frage, hätte Kiesingers Ohrfeige ihre Symbolkraft verloren.“
Das ist nicht nur sehr weise, das ist originell und macht zugleich deutlich: Wer immer Verhältnisse politisch oder ökonomisch ändern will, und seien es nur die eigenen, tut gut daran, weniger zu kopieren und sich stärker auf das zu besinnen, was ihn oder sie ausmacht – das Original.
In derselben Ausgabe ist übrigens die leidvolle Geschichte des Francesco Giammarco nachzulesen, der sich anschickte, innerhalb von vier Wochen eine einflussreiche Persönlichkeit auf Instagram zu werden – und damit trotz des Kaufs von 5000 Followern („von hoher Qualität“, für 20 Euro, sic!) scheitert. Er berät sich dabei mit Vorbildern, die früh angefangen haben, daher im zeitlichen Vorteil sind und diesen zu nutzen wissen: Sie bewerben sich auf Produktkampagnen und verdienen Werbegelder.
Aber welchen Einfluss haben die Influencer wirklich? „Keiner kennt die Regeln, aber jeder glaubt, es gibt irgendwas zu holen“, schreibt Francesco und vergleicht die Social-Media-Welt ein wenig mit dem Wilden Westen. Verlage jedenfalls sind zunehmend skeptisch gegenüber Kooperationen mit sozialen Netzwerken wie Facebook, weil die Erkennbarkeit ihrer Marke dabei ein Stück weit verloren geht, so Kommunikationswissenschaftlerin Wiebke Loosen vom Hans-Bredow-Institut. Die einzigen, die wirklich von der digitalen Ökonomie profitieren, sind marktbeherrschende Unternehmen wir Facebook oder Google selbst – die von der EU gerade verhängte Rekordstrafe gegen den Suchmaschinenbetreiber macht die Dimension der Gewinne deutlich!
Was lehrt uns das:
1) Marke, nicht Masche, oder eben auch das Original, nicht die Kopie sind gefragt!
2) Selbstvermarktung und Souveränität kannst du dir abgucken, Bedeutung und Einfluss nicht.
3) Influencer wird man nicht, indem man andere kopiert oder bezahlt, sondern früh mit einer eigenen Idee startet oder aus einem anderen Bereich (Sport, Musik, Blog) bereits einen Namen mitbringt.