Zwei Personen, ein Haushalt und ein Stromverbrauch von fast 55 Megawattstunden – in nur drei Tagen: Es hätte auffallen müssen, dass etwas nicht stimmen kann an der Stromabrechnung, die mir die enyway GmbH Ende März zukommen ließ. „Hallo Deike, vielen Dank, dass du deinen Strom von Ehepaar Kröger bezogen hast“, rückt mir Alex vom „Customer Interaction Team“ zunächst noch in hemdsärmeligem Ton auf die Pelle. Über das Du mit allen Kunden und die Verabschiedung („Herzliche Grüße Deine Alex“) habe mich an anderer Stelle schon aufgeregt. In diesem Fall geht es ums Eingemachte – und sehr viel Geld:
Aus der Abrechnung ergibt sich ein verbleibender Zahlbetrag in Höhe von 25.644,55 €.
Ich soll den Betrag bitte umgehend auf das Bankkonto der Deutschen Bank und nicht das vom Insolvenzverwalter genannte Referenzkonto überweisen. Denn das ist die ganze Geschichte: Vor gut drei Jahren stoße ich auf das Angebot des Start-ups, dessen Gründer sich „Energie-Revoluzzer“ nennen. Es gehe ihnen nicht um Gewinne, sondern um die Energiewende. Die Kunden sollen sich selbst aussuchen, bei welchem alternativen Produzenten sie den Strom beziehen. Gute Sache, denke ich mir, entscheide mich für einen Windkraftbetreiber im Alten Land und bin bereit, für die Idee und das reine Gewissen etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen. Auch noch, als der Strompreis im Laufe der drei Jahre kontinuierlich steigt und zum Ende des Jahres 2021 die Gesellschaft mit der „machdasmalanders Stromversorgung GmbH“ noch einmal versucht, das Ruder herumzureißen. Vergeblich: „Zuletzt haben wir tägliche Verluste von über 20.000 Euro tragen müssen“, schreibt mir enyway am 3. Januar in einer Mail, in der sie das Aus verkündet.
Macht drei Tage Strom in diesem Jahr, dann übernimmt der Grundversorger. Ich bin voller Mitgefühl. Die Post des Insolvenzverwalters mit der hamburgischen Adresse „Grimm 8“ erregt zwar Groll, aber der richtet sich noch gegen die Legitimation „Forderungen der Schuldnerinnen“ einzuziehen. Schließlich wurde der Vertrag nicht erfüllt, der Schaden liegt in einer Zeit explodierender Strompreise sowieso bei mir und die Suche nach einem neuen bezahlbaren Anbieter auch. Ich ziehe die Kontovollmacht sofort zurück, erhebe Widerspruch und bitte um Empfangsbestätigung. Keine Reaktion. Stattdessen neun Wochen später die Endabrechnung mit einer anderen Kontoverbindung. Ich bin erst mal fassungslos, dann ratlos: Will man sich nun die Verluste bei den letzten treuen Kunden zurückholen?
Dabei glaube ich gar nicht an Kriminalität. Es handelt sich um einen Ablesefehler. Schließlich fehlt die Angabe des Zählerstandes zum Start des Ablesezeitraums. Aber warum merkt das niemand? Selbst eine halbwegs intelligente Maschine dürfte einen fehlenden Zählerstand nicht einfach auf Null setzen. Nur, wie sage ich es meinem Dienstleister, wenn das Telefon nicht mehr besetzt, die Kundenkommunikation automatisiert ist, der Insolvenzverwalter schweigt und Fristsetzungen ignoriert. Was mich daran besonders ärgert: Die automatisierten Mails tun noch so, als sei alles beim Alten. Beispielsweise soll ich meinen Zählerstand und Monatsabschlag im Kundenportal anpassen – bei einem Unternehmen, das es gar nicht mehr gibt? Das erhöht nicht gerade mein Vertrauen: Wer kommuniziert hier jetzt eigentlich tatsächlich noch mit mir?
Lessons für Unternehmen, egal ob am Start oder Stopp
- Wer viel verspricht, muss auch im negativen Fall mit vielen Enttäuschungen umgehen können. Ein fader Geschmack bleibt zurück: machdasmalanders heißt eben nicht machdasmalbesser und nicht mal die Augenhöhe der Kundenkommunikation wurde hier revolutioniert. Anyway, man darf sich als kleines Start-up nicht zu viel vornehmen.
- Wer automatisierte Antwortmails oder gar Roboter einsetzt, muss dafür Sorge tragen, dass diese nicht sinnentleert kommunizieren.
- Wer Forderungen erhebt, muss auch noch für Gegenforderungen und Widersprüche erreichbar bleiben.
- Wer ungefragt duzt, reißt Barrieren ein. Das wiederum kann in schwierigen Zeiten zu einem harscheren Ton führen und damit die Eskalationsspirale schneller nach oben schrauben.