Wie gut, dass wir Experten haben. Dann kriegen wir jedes Jahr auch ein neues Wort des Jahres: „Flüchtlinge“ heißt es in 2015. Die Wahl ist erst wenige Stunden alt, da zerreißen sich die Kommentatoren schon die Köpfe darüber. Haben die denn nichts anderes zu tun? Okay, dann bin ich auch mal mit dabei: Es ist doch ohne Zweifel ein Wort, das die Debatte und das Leben in diesem Land in diesem Jahr bestimmt hat, insofern geht die Wahl schon in Ordnung.
Und das sei auch sprachlich von Interesse, wie die Sprachforscher schreiben, da es mit dem Suffix –„ling“ gebildet wird, das „für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig“ klinge: Klar Eindringling, Häftling und Schreiberling erwecken negative Konnotationen, aber was ist mit Liebling, Däumling, Silberling? Für mich durchaus positiv besetzt. Und was die passive Komponente betrifft, so ist diese doch bei dem alternativen Begriff „Vertriebener“ nicht weniger gegeben. Letztlich sind die Flüchtlinge solange passiv, solange ihre Registrierung und ihr Asylverfahren läuft und das kann dauern – leider.
Wenn Sprache Machtstrukturen in der Gesellschaft abbildet, dann hilft es nicht die Sprache zu verändern, dann muss man die Gesellschaft ändern. Das hat schon bei der sprachlichen Gleichstellung nicht funktioniert. Schrägstrich, Unterstrich, Versal-I – was hat es gebracht? Unterm Strich eine Sprachverhunzung, darüber noch lange keine gesellschaftliche Gleichstellung. Im Gegenteil, ich habe mich früher immer angesprochen gefühlt, wenn es um die Studenten, die Journalisten, die Radfahrer ging. Heute irritiert mich das gelegentlich, bin ich etwa nicht gemeint?
Die andere Frage ist doch, brauchen wir ein Wort des Jahres? Ich finde es ganz amüsant zu lesen, wie es 1971 mit „aufmüpfig“ angefangen hat und vom heißen Herbst (1983), Reisefreiheit (1989) zu Hartz IV (2004) doch immer Zeitgeschichte geschrieben hat. Mit ein paar Ausrutschern: Das alte Europa (2003) ist schon ein wenig in Vergessenheit geraten oder noch viel jünger und doch schon vergessen Lichtgrenze (2004). Dennoch brauchen wir sicher ganz andere Dinge, einen funktionierenden Denkapparat ohne Denkverbote und eine planvolle Strategie, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen wollen. Aber „Planlosigkeit“ hat einfach nicht das Zeug zum Wort des Jahres. Es wäre zu unspezifisch.