Die Dinge beim Namen nennen

Die Dinge beim Namen nennen

Die Zeit zwischen den Jahren ist eine besondere. Geprägt durch Feierlichkeiten, Rituale, Innehalten – und Magie. Der ebenfalls geläufige Name „Rauhnächte“ macht es deutlich. Einerseits. Andererseits geht es noch mal so richtig um Konsum, Knallerei und Völlerei. Das hat auch damit zu tun, dass viele frei haben. Auch wenn Feuerwehr, Pflegedienste und Algorithmen rund um die Uhr im Einsatz sind.

Gerade wieder hat mir der Xing-Algorithmus (ja, gibt es denn das Karrierenetzwerk immer noch?) eine Anzeige der besonderen Art ins Postfach gespült. Gesucht wird ein Ghostwriter/Autor (m/w/d), der/die/das nicht nur Spaß am Schreiben hat, sondern sich auch mit einfacher Arbeit ein gutes Nebeneinkommen dazuverdienen möchte. So weit, so verführerisch. Wo ist der Fehler? Gleich mehrfach im Feld der Aufgaben:

Dann bewirb dich jetzt als Ghostwriter für unsere Buchreihe Dropshipping/E-Commerce/Online-Business/Unternhemenskalierung und lebe deinen Traum, das Wissen welches du dir über mehrere Jahre angesammlt hast, aufs Papier zu bringen!

Job ID 6655755

Versteht sich von selbst, dass man für diese Tätigkeit „Perfektes Deutsch und Rechtschreibung“ mitzubringen hat – beides wäre schon bei der Formulierung der Anzeige schön gewesen. Gestolpert bin ich allerdings über den fragwürdigen Begriff „Dropshipping“. Was nach Hafenlogistik klingt, ist ein schnödes Online-Geschäftsmodell, bei dem zwischen Kunde und Händler noch ein Mittelsmann tritt. In welcher Höhe dieser am Auftrag mitkassiert und woher die Lieferung eigentlich kommt, bleibt für den Kunden intransparent. Im Deutschen nennt man das „Streckengeschäft“ – und das klingt nach Durst, Anstrengung und weit weniger positiv.

Genau darum geht es: Onlinehandel, Influencer und die reichweitenstarken Plattformen sind kreativ darin, immer neue, meist englischsprachige Begriffe zu verbreiten. Aber wir sollten sie nicht so einfach und unkritisch übernehmen. Sondern hinterfragen und beim Namen nennen, was damit gemeint ist. Das gilt übrigens nicht nur für den Onlinehandel. Meine Top-Drei für die „Wohlklingende Worthülse des Jahres“ sind:

  • Boykott: Nicht erst Katar hat gezeigt, dass eine Ächtung, die nicht konsequent umgesetzt wird, allenfalls gemischte Gefühle erzeugt, wenn nicht sogar Lächerlichkeit. Und das ist besonders bitter, wenn es um europäische Werte geht.
  • Diversität: Jedes Unternehmen schmückt sich damit und hält sich damit echte, gelebte Vielfalt geschickt vom Leib.
  • Kuratieren: Es klingt immer noch nach Kunst, Können und gehobenem Lifestyle, wenn Inhalte ausgewählt, ansprechend präsentiert und mit anderen geteilt werden. Aber mehr als organisieren, zusammenstellen und verwalten ist es in der Regel nicht.

      Fremdsprachliche Begriffe und Anglizismen stehen für Fortschritt, Weltgewandtheit und Wandel. Sie schaffen aber auch oft Distanzen, beschönigen und entfernen uns von dem Eigentlichen. Auch die Rauhnächte geben Rätsel auf, aber sie bringen auch etwas zum Schwingen und im besten Fall zur Besinnung. Schließlich sind die Übergänge zwischen Berg und Tal mindestens so fließend wie die zwischen den Jahren

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