Worte in der Waagschale

Worte in der Waagschale

Wie wichtig es doch sei, die Worte sorgfältig abzuwägen, bemerkt ein Freund, als er mir zur „bevorstehenden Großmutterschaft“ gratuliert. In der Tat wäre ich mit einem Oma-Gruß nicht so richtig warm geworden. Die Ableitung von Großmama ist zwar kinderleicht zu sprechen und schön prägnant, aber eben auch bisweilen eine Waffe. In der Öffentlichkeit wird damit auf ältere Frauen gezielt. Etwa, wenn die FAZ titelt „Wenn Oma aus dem Pflegeheim ausbüxt“ oder eine Menschenrechtsaktivistin als „Sprayer-Oma“ die Runde macht. Sie entfernt oder übersprüht seit 40 Jahren Nazi-Parolen und Hass-Graffitis unter dem Eigennamen „Polit-Putze“, aber das weckt nun einmal keinerlei Assoziation zu ihrem Alter. Da muss schon die Oma her. Eine zweifelhafte Auszeichnung.

Ein ehemaliger Polizeibeamter und Verhandlungscoach berichtet von Eskalationen. Nicht in der Ukraine oder in Nahost, sondern am Verhandlungstisch: Wir werden erpresst, beklagten seine Kunden, gestandene, wohlsituierte Manager, denen keineswegs nach dem Leben getrachtet wird. Vielmehr gehe es um einen Lieferstopp in der Automobilindustrie, die Auslistung im Handel oder das Akzeptieren einer 35-Stunden-Woche in einem Tarifvertrag. Was die Manager unter Druck dabei verkennen: Negative Konsequenzen aufzuzeigen, ist für die Verhandlungspartner essentiell. Wie professionell man damit umgeht, eine andere Frage. Verbale Entgleisungen helfen in der Regel nicht.

Ein Sozialpädagoge bedauert den „reflexhaft ideologischen“ Umgang mit jugendlichen Straftätern, gerade wenn sie eine Migrationsgeschichte mitbringen. Die Mitte fehle, sagt er. Da werde von rechts sofortige Abschiebung, am besten gleich ganzer Familien und Nationalitäten gefordert. Von links um unbedingtes Verständnis geworben, weil die Jugendlichen selbst nichts für ihre problematischen Lebensbedingungen könnten und Menschen nun einmal mehr brächten als Mauern. So würden „Monsterkids“ gegen „Migrationsschicksale“ ausgespielt. Dabei könne eine Abschiebung im Einzelfall sehr wohl ein Exempel statuieren. Eine geschlossene Unterbringung mit intensiver Betreuung den Täter aus seinem Bandenumfeld herausholen. Das Bewusstsein, dass wir uns hierzulande selbst nicht mit existenzieller Armut auseinandersetzen müssen, so etwas wie Dankbarkeit erzeugen. In Deutschland geboren worden zu sein, ist nun einmal ein geopolitischer Glücksfall. Aber ganz bestimmt nicht unser Verdienst.

Drei Beispiele, drei Schlussfolgerungen

  • Wir sollten abrüsten, wenigstens verbal!
  • Jeder ist verantwortlich für seine Sprache!
  • Dabei geht es nicht um die Jagd auf bestimmte Wörter und schon gar nicht um Verbote. Es geht um Bewusstmachung!

Achtung der Menschenwürde, Sorgfaltspflicht, Verzicht auf unangemessen sensationelle Darstellungen, im Pressekodex ist alles geregelt. Medienmenschen müssen die ethischen Standards nur beachten. Und ihre Kritiker schätzen lernen, dass es den Kodex gibt. Sonst würde die Gleichung je reißerischer, je besser nicht nur in sozialen Medien Oberhand gewinnen. Die Hoffnung auf Klicks Sprache noch weiter radikalisieren. Ein Kampf, der ehrlicherweise nicht zu gewinnen ist: Wenn Extremwähler sowieso immun gegen Negativschlagzeilen sind, wie Wahlforscher sagen, brauchen wir doch gar nicht erst nach schlagkräftigen Titeln suchen. Dann konzentrieren wir uns lieber auf Zeilen, die leiten, aufklären und ein Bewusstsein schaffen.

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