Warum W-Fragewörter in Überschriften nerven

Warum W-Fragewörter in Überschriften nerven

Die Story zum Hintergrund

Ein gutes Interview ist wie ein gutes Gespräch, bei dem einer mehr fragt, der andere mehr erzählt, entspannt, unprätentiös, bereichernd. So war es auch am Freitagabend vor Pfingsten. Ein gelungener Start ins lange Wochenende, dachte ich. Bis sich eine Stunde später der Interviewte anders besann:

Sicherlich ist es bei solch einem Artikel ohnehin gang und gebe, trotzdem möchte ich der Vollständigkeit halber nochmal darauf hinweisen: Weder das Unternehmen, noch mein Name darf in dem Artikel auftauchen. Ich bitte Sie, dies unbedingt zu berücksichtigen. 

Wer ein wenig auf meiner Seite surft, meine Themen kennt und Sachgebieten zuordnet, versteht sofort, dass ich nicht investigativ unterwegs bin. Geheimhaltung ist bei solchen ratgeberlastigen Themen weder gang noch gebe. Im Gegenteil, es könnte dem Vorschub leisten, was man Journalisten gerne unterstellt: die Wahrheit auf ihre Brille anzupassen, vielleicht sogar Stimmungen und Stimmen zu erfinden, zu lügen wie gedruckt. Aber natürlich wollte ich den Gesprächspartner auch nicht in Schwierigkeiten bringen und machte mich an die Überarbeitung, als eine zweite Mail aufploppte:

Würden Sie mir bitte die Kenntnisnahme meiner letzten Mail und damit die Einhaltung meiner Bedingungen bestätigen?

Puh, da stand aber jemand mächtig unter Druck, dachte ich mir und war schon dabei, eine Antwort mit dem Betreff „Was Sie über den praktischen Journalismus wissen sollten“ zu formulieren, als mir die Predigt meiner Freundin einfiel. Ihr war der Trend zu W-Fragewörtern in Titeln aufgefallen. Aber eben nicht mal mehr als Frage formuliert, sondern als Antwort.

Die Hinwendung zum Thema

Und das nervt, so die vielfache Printnutzerin, weil

  • es Allwissenheit suggeriert – so komplex die Stoffmenge auch sein – und auf Zuspitzung aufbaut
  • mehr verspricht, als ein einziger Artikel halten kann – und sei er noch lang
  • nach Clickbaiting und SEO klingt, aber nicht nach seriösem Journalismus
  • anders gesagt: General Interest und Thesenjournalismus vermischt.

Hierzu mal ein Beispiel

Und die kurze Analyse dazu

Kurzer Artikel, lange Überschrift – mit dem Versprechen auf W-Fragen Antworten, das geradezu allmächtig ist: Welche noch so versierten und von mir aus auch promovierten Pädagogen wären so vermessen, zu behaupten, sie könnten in die Köpfe und Herzen aller Kinder schauen. Text, Bild und Subline machen zwar deutlich, dass es sich um eine Buchvorstellung handelt. Doch selbst ein Buch wird niemals halten können, was die Überschrift verspricht. Die hatte die Tageszeitung, in diesem Fall das Hamburger Abendblatt, von der Subline des Buchverlages, in diesem Fall Kösel, abgekupfert: „Wie dein Kind die Welt erlebt und warum sich ein Perspektivwechsel für die ganze Familie lohnt.“ Das ist viel zu viel Ballast und Brumborium. Der eigentliche Buchtitel „Ich fühle, was du nicht siehst“ ist zwar nicht minder bescheiden, aber immerhin schön. Noch schöner ist die Idee dahinter: Das Familienleben mal mit der Brille des Kindes zu betrachten und sich etwa zu fragen: „Wärst du gerne Kind mit dir als Elternteil?“

Großartige Frage! Ganz ohne Fingerzeig, Oberlehrer und Binse. Ich nehme sie mit in meinen nächsten Termin: Wäre ich gerne Gesprächspartner mit mir als Interviewerin?

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